Wie sieht die Zukunft der Hauptuntersuchungen von autonomen und automatisierten Fahrzeugen aus? Dieser Frage ist die in Deutschland ansässige Kfz-Überwachungsorganisation KÜS (Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger) nachgegangen und lotet mit ihrer innovativen Prüflinie KÜS DRIVE die Grenzen des Machbaren aus. Tatkräftige Unterstützung erhält sie dabei von dSPACE.

Welcher Autobesitzer kennt sie nicht, die alle zwei Jahre anstehende Hauptuntersuchung (HU) seines Fahrzeugs? Da untersucht ein Prüfingenieur gemäß StVZO (Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung) sicherheitsrelevante meist mechatronische Fahrzeugkomponenten wie Licht, Bremsen, Antriebsstrang unter dem Fahrzeug, Reifen usw. in Hinsicht auf Ausführung, Zustand, Funktion und Wirkung. Diese Untersuchungen werden von einem HU-Adapter, der mit dem Fahrzeug über die OBD (On-Board-Diagnose)-Schnittstelle kommuniziert, unterstützt. Aufgrund der rasanten technischen Weiterentwicklung der Fahrzeuge, die insbesondere durch die Integration von ADAS (Advanced Driver Assistance Systems) gekennzeichnet ist, müssen auch Prüfinhalte der periodischen Hauptuntersuchung mit dieser Entwicklung mithalten, um weiterhin die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Längst überwachen Kamerasensoren die Einhaltung der Fahrspur und machen beim Überfahren der Seitenlinien den Fahrer aufmerksam. Und falls sich das Auto vorausfahrenden Verkehrsteilnehmern gefährlich nähert, greift der Notbremsassistent ein und entspannt die Situation.

Sicher über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus
Die Prüflinie KÜS DRIVE ist für Prüfungen von automatisierten Fahrzeugen ausgelegt.

Sicher über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus

Die ersten Fahrer, die mit Autos unterwegs sind, die ihre Umgebung erkennen und teilautonom fahren, die sogenannten Level-2- und -3-Fahrzeuge, vertrauen auf diese und weitere Sensoren. „Doch wie kann die Funktionssicherheit dieser sensiblen Bauteile über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus hinaus gewährleistet werden?“, greift Dr. Thomas Tentrup, Entwicklungsleiter bei der KÜS, die industrieweite Frage auf. Zur Beantwortung dieser sicherheitskritischen Herausforderung hat die deutsche Prüforganisation KÜS mit der Unterstützung von dSPACE die Prüflinie KÜS DRIVE entwickelt und realisiert. Damit ist es möglich, die Umfeldsensoren eines Fahrzeugs kontaktlos und ohne Zugriff auf die relevanten ADAS-Steuergeräte zu stimulieren und nach UN-ECE (United Nations Economic Commission for Europe) und NCAP (New Car Assessment Program) relevante szenarienbasierte Wirk-Prinzip-Prüfungen durchzuführen. Die kontaktlose Prüfung bildgebender Sensoren mit physikalischen Eingangsgrößen wie Radar, Lidar, Ultraschall oder Lichtwellen wird als Over-the-Air (OTA)-Test bezeichnet.

OTA-Stimulation der Fahrzeugsensoren

„Für valide und reproduzierbare Ergebnisse kommt hier die Vehicle-in-the-Loop (VIL)-Simulationsmethode zum Einsatz, bei der ein reales Fahrzeug in einer virtuellen Umgebung getestet wird“, erläutert Ahmet Karaduman, Consultant bei dSPACE. Er ergänzt: „Diese Form der Absicherung kann nicht nur in regelmäßigen Hauptuntersuchungen (Periodic Technical Inspections, PTI) eingesetzt werden, sondern auch bei End-of-Line-Tests in der Automobilproduktion, der Typgenehmigung/Homologation und im R&D-Bereich.“

Das Fahrzeug befindet sich beim VIL-Test auf dem lenkbaren Rollenprüfstand „x-road curve“ von Dürr Assembly Products und ist in der Lage, nach jeweiligem abzufahrendem Prüfszenario durch den Fahrer angesteuert zu beschleunigen, zu bremsen oder nach rechts und links zu lenken. Aufgrund der technischen Eigenschaften des Rollenprüfstands bleibt das Fahrzeug immer zur Symmetrieachse des Prüfstands in Längsrichtung positioniert und kann Geschwindigkeiten bis 130 km/h fahren. Mit Hilfe der Software-Schnittstelle zwischen dem lenkbaren Rollenprüfstand und der dSPACE Toolchain ist es möglich, die realen physischen Bewegungen des Fahrzeugs an einen Digital Shadow zu übertragen. Dieser wird samt Fahrzeugumgebung auf einem Simulator von dSPACE in Echtzeit berechnet. Die Simulation speist einen Monitor und einen Radarzielsimulator zur OTA-Stimulation der Kamera- und Radarsensoren.

Schematische Darstellung des Vehicle-in-the-Loop (VIL)-Tests in der Prüflinie KÜS DRIVE. Der Aufbau besteht aus einem lenkbaren Rollenprüfstand (x-road curve) und einem Simulator (SCALEXIO). Die vom Simulator erzeugte virtuelle Fahrzeugumgebung wird den Fahrzeugsensoren auf physikalischer Ebene per Over-the-Air (OTA)-Verfahren zur Verfügung gestellt. Die Sensoren des zu testenden Fahrzeugs erfassen physikalische Größen und die Assistenzsysteme des Fahrzeugs können darauf reagieren. 

Der Prüfaufbau für die Sensorik
dSPACE Automotive Radar Test Systems (DARTS): Simulation von Radarzielen für Kfz-Radarsensoren auf physikalischer Ebene Over-the-Air.

Der Prüfaufbau für die Sensorik

„Integriert in die Prüflinie und direkt vor dem zu testenden Fahrzeug befinden sich ein Monitor und eine Radarantenne, die beide horizontal, vertikal und axial mittels des flexiblen Portalsystems "x-around" von Dürr Assembly Products positionierbar sind“, beschreibt Karaduman den Aufbau für den Sensortest.

Der Monitor stimuliert die Kamera des Fahrzeugs mit Umgebungs- und Straßenszenarien, die von der sensorrealistischen Simulationslösung AURELION in Form einer 3D-Welt animiert wurden. Dies dient der Überprüfung, ob der Kamerasensor des VUT (Vehicle-under-Test) die relevanten Objekte richtig erkennt. Die korrekte Funktion des Spurhalteassistenten (LKAS) und des Spurhaltewarnsystemassistenten (LDWS) wird mit geeignet konzipierten Straßendarstellungen ebenfalls getestet.

Um den Radarsensor zu testen, wird die Antenne des Radar-Zielsimulators DARTS (dSPACE Automotive Radar Test Systems) direkt vor dem Sensor positioniert. DARTS emittiert die Radarreflexionen eines simulierten Zielobjekts. Die Reflexionswellen geben Entfernung, Größe und Geschwindigkeit des Objekts exakt wieder und stimulieren damit den Radarsensor. Dies ermöglicht das reproduzierbare und für die Prüfingenieure ungefährliche Testen des Abstandsregeltempomaten (ACC) und des Notbremsassistenten (AEB).

Die in sich homogenen und aufeinander abgestimmten Hardware- und Software-Komponenten des Prüfstands ermöglichen damit einen stabilen Testablauf in Echtzeit. Bei Bedarf lassen sich Testfälle exakt reproduzieren, um die erfolgreiche Behebung von Fehlern nachzuweisen. „Reproduzierbare Ergebnisse sind für die Bewertung der technischen Prüfungen insbesondere bei einer Hauptuntersuchung unerlässlich“, merkt Dr. Tentrup an.

Die Simulationslösungen von dSPACE erzeugen eine reproduzierbare, realistische virtuelle Welt inklusive komplexer Fahrszenarien.

Die Zukunft im Blick

Die KÜS (Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger) erkannte frühzeitig, dass die Automatisierung im automobilen Bereich vielfältige Sicherheitsthemen mit sich bringt, die für straßenzugelassene Fahrzeuge gelöst werden müssen. Um mit diesem technologischen Fortschritt im Bereich der Funktionen für das automatisierte Fahren und der Fahrerassistenzsysteme Schritt zu halten, steigen in der Folge die Anforderungen an die gesetzlich geregelte periodische Fahrzeugüberwachung stetig an.

„Aus diesem Grund startete die KÜS mit KÜS DRIVE ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, die aktuellen Prüfumfänge der Hauptuntersuchung in eine klassische Prüfstraße zu integrieren, in der auch die sicherheitsrelevanten Fahrerassistenzsysteme mittels OTA-Prüfung getestet werden können. Mit DRIVE arbeiten wir an den Innovationen von morgen, um Lösungen zur verbesserten Fahrzeugsicherheit und zur Funktionssicherheit von Assistenzsystemen und von automatisiertem Fahren über den gesamten Produktlebenszyklus voranzubringen“, erläutert Peter Schuler, Hauptgeschäftsführer der KÜS.

 

Anpassung der Hauptuntersuchungen an automatisierte und autonome Fahrzeuge (SAE-Level-3)
Gesetzlich vorgeschriebene Hauptuntersuchungen tragen nicht nur zur Vermeidung von technischen Fehlfunktionen bei, sondern erhöhen auch die Verkehrssicherheit automatisierter und autonomer Fahrzeuge.

Anpassung der Hauptuntersuchungen an automatisierte und autonome Fahrzeuge (SAE-Level-3)

Gesetzlich vorgeschriebene Hauptuntersuchungen tragen nicht nur zur Vermeidung von technischen Fehlfunktionen bei, sondern erhöhen auch die Verkehrssicherheit. ADAS-Fahrerassistenzsysteme sind zusätzlich in der Lage, durch menschliches Fehlverhalten oder Unvermögen verursachte Unfälle deutlich zu reduzieren. Um diese zu gewährleisten, müssen diese Systeme jedoch über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs fehlerfrei funktionieren. Mögliche Störfaktoren sind dabei:

  • Alterung von Material und Komponenten
  • Mangelhafte bzw. fehlerhafte Instandsetzung
  • Manipulation von Komponenten und Systemen
  • Unerlaubtes oder übermäßiges Tuning
  • Grenzen der Selbstdiagnose

Das Erkennen von technischen Mängeln und damit die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit wird u. a. durch die periodische Prüfung sichergestellt. Zum Beispiel können Abstandsregeltempomaten (ACC) und Notbremsassistenten (AEB) Auffahrunfälle auch bei hohen Geschwindigkeiten verhindern und damit signifikant zur Reduktion der Unfallzahlen beitragen. Gerade bei diesen Unfällen, bei denen ein fahrendes Fahrzeug mit einem in gleicher Richtung fahrenden oder stehenden Fahrzeug kollidiert, sind neben hohen Sachschäden auch oft Tote und Schwerverletze zu beklagen. Jedoch kann auch eine fehlerhafte Auslösung eines nicht korrekt eingestellten Notbremsassistenten zu Auffahrunfällen führen.

Sicherheitssysteme periodisch prüfen
Funktionen für automatisiertes Fahren können mit der Vehicle-in-the-Loop (VIL)-Testmethodik effizient und reproduzierbar getestet werden.

Sicherheitssysteme periodisch prüfen

Im Zuge der Entwicklungen im Automobilbereich ist klar zu erkennen, dass sich die Bedeutung der Fahrerassistenzsysteme verändert. „Waren es zunächst ‚Komfortsysteme‘, die dem Fahrer das Führen des Automobils erleichterten, entwickeln sie sich immer mehr zu ‚Sicherheitssystemen‘“, erklärt Karaduman. Unter diesem Aspekt wird deutlich, wie unverzichtbar es ist, diese Systeme in den Rahmen der periodischen Fahrzeugprüfung einzubeziehen und die gesetzliche Basis dafür zu schaffen.

Die Prüflinie KÜS DRIVE demonstriert bereits heute ein überzeugendes technisches Lösungskonzept für die neuen Anforderungen an die Prüfumfänge bei der regelmäßigen Hauptuntersuchung automatisierter Fahrzeuge. Die Sicherheit von Funktionen für das automatisierte Fahren kann in entsprechend ausgestatteten Prüfzentren über den Lebenszyklus eines Fahrzeugs geprüft und nachgewiesen werden.

Mit freundlicher Genehmigung von KÜS (Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger)

 

dSPACE MAGAZIN, VERÖFFENTLICHT JULI 2023

Szenarienbasierte Wirk-Prinzip-Prüfung nach dem OTA-Verfahren

Die Wirk-Prinzip-Prüftechnik prüft die Reaktion eines technischen Gesamtsystems auf eine bekannte definierte Anregung und bewertet die Differenz der Reaktion des Systems mit der Sollreaktion. Bei der Wirkprüfung von Fahrerassistenzsystemen bedeutet dies, dass die Anregung über die Sensorik wie auf der Straße physikalisch (Over-the-Air) unmittelbar erfolgt. Somit wird ein direkter Zugriff auf die Steuergeräte vermieden, was die Überprüfung der gesamten Wirkungskette ermöglicht.

Treiben Sie Innovationen voran. Immer am Puls der Technologieentwicklung.

Abonnieren Sie unser Expertenwissen. Lernen Sie von erfolgreichen Projektbeispielen. Bleiben Sie auf dem neuesten Stand der Simulation und Validierung. Jetzt dSPACE direct und dSPACE direct aeropace & defense abonnieren.

Formularaufruf freigeben

An dieser Stelle ist ein Eingabeformular von Click Dimensions eingebunden. Dieses ermöglicht es uns Ihr Newsletter-Abonnement zu verarbeiten. Aktuell ist das Formular ausgeblendet aufgrund Ihrer Privatsphäre-Einstellung für unsere Website.

Externes Eingabeformular

Mit dem Aktivieren des Eingabeformulars erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Click Dimensions innerhalb der EU, in den USA, Kanada oder Australien übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzbestimmung.