Gefahrensituationen im Straßenverkehr können vielfältig und komplex sein. Um die neuesten Fahrzeuggenerationen auf möglichst viele Eventualitäten vorzubereiten, bedarf es ausgefeilter Testszenarien, die der Realität möglichst nahekommen und damit möglichst valide Testszenarien bieten.

Realistische Sensorsimulationen sind unerlässlich

Innovative Anwendungen im Bereich der Fahrerassistenzsysteme (ADAS) und des autonomen Fahrens (AD) basieren auf den Signalen der einzelnen Fahrzeugsensoren. Sie verarbeiten diese und greifen unter bestimmten Umständen aktiv in den Fahrprozess ein. Mit der Komplexität dieser Funktionen steigen auch die Anforderungen an die Technik, die dann zum Beispiel nur mit einer erweiterten Sensorik erfüllt werden können.

Die aktuellen Fortschritte im Bereich ADAS und AD sind daher ohne sensorrealistische Simulationen nicht denkbar. Diese ermöglichen die genaue Simulation von Fahrzeugsensoren und -umgebungen, zum Beispiel bei unterschiedlichen Wetter- und Lichtverhältnissen, und geben dem Tester ein genaues Bild, ob Umgebung und Verkehrsszenarien korrekt erfasst und ausgewertet wurden. So können Steuergeräte unter realistischen Bedingungen getestet und validiert werden, und zwar mit einer Vielfalt relevanter Testszenarien, die exakt reproduzierbar genutzt werden können.

AURELION verbindet SIL- und HIL-Tests

Mit AURELION hat dSPACE ein Tool entwickelt, das dem User gleich mehrere Vorteile bietet: 

  • Während Software-in-the-Loop (SIL)-Tests beliebig schnell ausgeführt werden können, erfolgen Hardware-in-the-Loop (HIL)-Tests unter exakten Echtzeitbedingungen. AURELION adressiert beide Anwendungsfälle gleichermaßen, so dass zum Beispiel die Vorentwicklung in einer SIL-Umgebung gestartet werden kann und dann die Simulationsmodelle inklusive aller Simulationsartefakte nahtlos im HIL-Test verwendet werden können.
  • Durch Skalierung von Rechenleistung mit Rechenfarmen oder in der Cloud ist es möglich, Tests parallel auszuführen und dadurch hohe, durch Parameterstudien variantisierte Testumfänge, in überschaubarer Zeit auszuführen. Dies ist für die Entwicklung von Funktionen für das automatisierte Fahren unerlässlich, da diese mit unzähligen Testkilometern, bestehend aus sicherheitsrelevanten Szenarien, validiert werden müssen.
  • Grundlage für die Entwicklung und Validierung mit Simulationen sind jedoch realistische synthetische Sensordaten. Ob Lidar, Radar oder Kameras, je genauer die virtuelle Sensorsimulation das reale Gegenstück abbildet, desto valider sind die Ergebnisse. dSPACE pflegt daher langjährige Beziehungen zu namhaften Sensorherstellern in aller Welt, damit deren Sensormodelle in der Simulation abgebildet werden können - natürlich unter Wahrung des IP-Schutzes.
  • Darüber hinaus verfügt dSPACE durch die enge Zusammenarbeit über das Know-how, synthetische Sensordaten bereits auf Sensorebene einzuspeisen, so dass Kunden bestimmte Bereiche der Sensorverarbeitung testen können.

Mit AURELION können relevante Gefahrensituationen für die Sensorentwicklung äußerst realitätsnah simuliert und visualisiert werden.
 

Testfallsimulation kann Leben retten

Anhand eines konkreten Beispiels soll hier dargestellt werden, wie AURELION in der Radarsensorentwicklung genutzt werden kann. 

Die Partner HELLA und dSPACE haben gemeinsam eine Simulationslösung aufgebaut, mit der zum Beispiel Anwendungsfälle im Zusammenhang mit der Regelung „UNECE 151 - Blind Spot Information System for the Detection of Bicycles“ validiert werden können. Michael Lemm, Head of System & Software Radar Sensor Simulation, HELLA, erläutert: „Damit soll insbesondere der Schutz gefährdeter Verkehrsteilnehmer auf der fahrerabgewandten Seite erhöht werden. Dazu sollen die Lkw mit einem System zur Erkennung und Warnung vor Hindernissen im Bereich des toten Winkels (BSIS = Blind Spot Information System) ausgestattet werden.“ Verschiedene Integrationsszenarien wie der Einbau von zwei Sensoren in unterschiedlicher Höhe zur Ausleuchtung des schwer bis nicht einsehbaren Bereichs sind mögliche Einsatzzwecke. 

Die Anforderungen an das System sind in der genannten Regelung definiert, ebenso wie statische und dynamische Testfälle. Den statischen Testfall veranschaulicht zum Beispiel eine Ampelsituation, in der ein Lkw anhält und sich ein Radfahrer rechts vom Lkw der Haltelinie nähert. In diesem Fall schreibt die Regelung vor, dass der Fahrer mindestens 1,4 Sekunden lang gewarnt werden muss, bevor das Fahrrad die Front des Lkw erreicht.
 

Virtuelle Abdeckung aller Szenarien schon in der Entwicklung

„Um ein BSIS auf Basis von Radarsensoren zu entwickeln, ist der Einsatz von Radarsimulationslösungen wie AURELION hilfreich. Mit Hilfe einer Radarsimulation kann der oben gezeigte Testfall sehr früh im Entwicklungsprozess eingesetzt werden", sagt Lemm. Verschiedene Design- und Entwicklungsaktivitäten können parallel durchgeführt werden, ohne einen realen Sensor einsetzen zu müssen. Mit generischen Radarsimulationsmodellen lässt sich beispielsweise der Einfluss verschiedener Sensoreinbaupositionen am Lkw im Hinblick auf eine mögliche Sensorausleuchtung untersuchen. Auf diese Weise können die Algorithmen der BSIS-Sensoren mit spezialisierten Radarsimulationsmodellen entwickelt werden, ohne dass ein konkreter Prototyp vorliegt.

„Darüber hinaus kann durch die Kopplung einer vollständigen Fahrdynamiksimulation (ASM) auch der Einfluss unterschiedlicher Lkw-Beladungen berücksichtigt werden. Dies ist hilfreich, um schon vor der realen Installation im Fahrzeug Aussagen über den abgedeckten Bereich treffen zu können. Ein Vorteil von AURELION als Simulationslösung ist, dass dieselben Simulationsmodelle und dieselben Szenarien in weiteren Tests wiederverwendet und in einer Vielzahl von Anwendungsfällen bis hin zu den Homologations-/Freigabetests eingesetzt werden können“, kommentiert Lemm. 

Selbst Kurven- und Geradeausfahrten, unterschiedliche Aufliegeraufbauten und verschiedene Wettersituationen können in der Simulation berücksichtigt werden und sorgen dafür, dass die spätere reale Umsetzung gut vorbereitet werden kann und umfangreiche Nacharbeiten bei der Sensorpositionierung in der Realität vermieden werden können.
 

Die Grafik veranschaulicht unterschiedliche Gefahrensituationen, die sich mit frühzeitiger Sensorerkennung entschärfen lassen.

Simulation auf die Millisekunde genau

Nach UNECE - 151 müssen Totwinkelassistenzsysteme den Fahrer über die potenzielle Gefahrensituation zwischen dem First Point of Information (FPI) und dem Last Point of Information (LPI) informieren. Dabei ist der FPI definiert als der frühestmögliche räumliche Punkt, an dem eine potenzielle Gefahrensituation erkannt werden kann, und der LPI als der letztmögliche räumliche Punkt, an dem das System den Fahrer informiert haben muss. Diese können in AURELION bis auf die Millisekunde genau simuliert werden. Die Simulation ermöglicht Lieferanten und OEMs bereits frühzeitig eine beidseitig abgestimmte Konfiguration des Systems.

Lemm erklärt: „Dank der sensorrealistischen Simulation in AURELION konnten wir bei der Entwicklung unseres BSIS zum Beispiel auch die üblichen äußeren Einflüsse wie Mehrwegreflexionen durch Baustellensituationen oder Randbebauung sowie Einflüsse im Stadtverkehr in unterschiedlichsten Variationen berücksichtigen.“

Mit dem Fahrdynamikmodell ist darüber hinaus auch eine realistische Darstellung von Zugmaschine und Anhänger in verschiedenen Kurvenszenarien möglich. Auch die für die Homologation erforderlichen Dummies können in AURELION simuliert werden.
 

Sicherer in die Zukunft

Dank des UNECE 151 - Blind Spot Information System for the Detection of Bicycles werden die Straßen für Radfahrer in Zukunft viel sicherer sein und schwere bis tödliche Unfälle werden hoffentlich der Vergangenheit angehören. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie technische Innovationen und hochpräzise Testszenarien den OEMs helfen können, die Technologie weiterzuentwickeln und die Anforderungen dieser Art zu erfüllen.

Mit freundlicher Genehmigung von HELLA 

dSPACE MAGAZINE, PUBLISHED JUNE 2023

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