Für Anfang 2026 plant die europäische Raumfahrtagentur ESA den Start des ersten von zwei Satelliten, um vom All aus die weltweiten Kohlendioxid (CO2)-Emissionen mit bisher unerreichter Genauigkeit zu messen. Der Raumfahrtkonzern OHB testet die Satellitenfunktionen mit Hilfe von Simulatoren, die unter anderem auf Basis von dSPACE SCALEXIO-Systemen und Software von Astos Solutions aufgebaut werden. 

Um den Klimawandel zu bekämpfen, benötigt die Welt präzisere Daten über die globalen CO2-Emissionen. Diese Daten möchte die EU mit Unterstützung der ESA im Rahmen der CO2M (Copernicus Anthropogenic Carbon Dioxide Monitoring)-Mission sammeln. Das Besondere dabei: Erstmals wird es möglich sein, die menschengemachten von den natürlichen CO2-Emissionen zu unterscheiden. Damit ist die CO2M-Mission ein wichtiger Baustein, um das Ziel der Pariser UN-Klimakonferenz von 2015 zu erreichen und die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

Bestimmung des menschengemachten CO<sub>2</sub>
Abbildung 1: Links: Die Satelliten erstellen hochgenaue Karten der menschengemachten CO2-Emissionen (Städte, Fabriken etc., hier in einer Simulation). Rechts: Die Umlaufzeit der Satelliten beträgt knapp 100 Minuten. Dabei messen sie die CO2-Konzentration mit einer Auflösung von 2x2 km2 in einem 250 km breiten Streifen und erfassen aufgrund der Erddrehung innerhalb weniger Tage einmal den gesamten Globus.

Bestimmung des menschengemachten CO2

CO2 absorbiert den Infrarotanteil des Lichts besonders stark. Daher messen die Satelliten die Intensität des von der Erdoberfläche kommenden Infrarotlichts und leiten daraus die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ab. Um außerdem das menschengemachte vom natürlichen CO2 zu unterscheiden, messen die Satelliten mit einer ähnlichen Methode zusätzlich auch die Konzentration von Stickstoffdioxid (NO2). Denn NO2 entsteht als Nebenprodukt zum CO2 vor allem bei der Verbrennung fossiler Energieträger, nicht aber als Teil der Emissionen lebender Organismen. NO2 lässt sich daher als Marker nutzen, um den menschengemachten Anteil am CO2 in der Atmosphäre zu identifizieren, der beispielsweise in der Atmosphäre über einer Industrieregion deutlich höher ist als über einem dünn besiedelten tropischen Regenwald.

Entscheidend: Perfekte Satellitenausrichtung

Um genaue Messungen durchführen zu können, müssen die Satelliten ihre Ausrichtung und die geplante Umlaufbahn exakt einhalten. Hierfür sorgt in der Raumfahrt ein sogenanntes Lage- und Bahnregelungssystem (Attitude and Orbit Control System, AOCS). Ein typisches AOCS besteht aus einem Lagekontrollrechner sowie Sensoren und Aktoren, beispielsweise:

  • Magnetometer: Sensor zur Messung des Erdmagnetfelds
  • Sonnenrichtungssensor: Sensor zur Messung der Richtung zur Sonne
  • Magnetorquer: Aktor, der ein Drehmoment auf den Satelliten mittels eines mit dem Erdmagnetfeld wechselwirkenden Elektromagneten aufbringt
  • Reaktionsrad: Aktor, der mittels einer rotierenden Schwungmasse ein Drehmoment auf den Satelliten aufbringt

Hinzu kommt meistens auch noch ein GNSS (Global Navigation Satellite System)-Empfänger. Um das AOCS im Labor zu testen, wird ein sogenanntes SCOE (Special Check-out Equipment) eingesetzt. Das AOCS SCOE für die Tests der CO2M-Satelliten basiert auf einem dSPACE SCALEXIO-Echtzeitsystem (Abbildung 2).
 

Simulation der Bedingungen im Orbit

Mit dem AOCS SCOE lassen sich im Labor die Bedingungen im Orbit simulieren, um so die Satellitenfunktionen zu testen. Zu den typischen Einflüssen, denen der Satellit unterliegt, gehören das Gravitations- und Magnetfeld und die Reibung mit der im Orbit in 735 km Höhe zwar extrem dünnen, aber noch vorhandenen Restatmosphäre. Für die Tests der Satellitensysteme gelten hinsichtlich der Testabdeckung allerhöchste Anforderungen, denn weil der Satellit im Orbit nicht mehr zugänglich ist, sind eventuelle Fehlerkorrekturen nur noch per Funk möglich, beispielsweise in Form von Software-Uploads.

Abbildung 2: Architektur des AOCS SCOE für den Test der Satelliten. Die Modelle von ASTOS werden auf dem dSPACE SCALEXIO-System auf einem Linux-Kern (dSPACE Hypervisor Extension) gerechnet

Aufbau des AOCS SCOE

Das SCALEXIO-basierte AOCS SCOE wird in Zusammenarbeit von dSPACE und dem dSPACE Partner Astos Solutions entwickelt, der es anschließend an den Raumfahrtkonzern OHB ausliefert. Das SCALEXIO-System (Abbildung 3) unterstützt eine breite Palette von Schnittstellen, u. a. analog, digital, RS422, MIL-STD-1553, Ethernet, für Open-Loop- und Closed-Loop-Tests. Auf dem SCALEXIO-System werden die Modelle der Satellitendynamik auf einem Linux-Kern (dSPACE Hypervisor Extension, siehe Info-Box) berechnet. Mit der von Astos Solutions entwickelten ASTOS-internen 3D-Engine können alle Testszenarien und deren Parameter zur besseren Übersichtlichkeit in Echtzeit visualisiert und überwacht werden. Das dSPACE SCALEXIO-System unterstützt außerdem eine umfassende Automatisierung für Tests mit automatischer Datenaufzeichnung rund um die Uhr. 

Abbildung 3: Aufbau des für das AOCS SCOE verwendeten dSPACE SCALEXIO-Systems. Für jeden der Satelliten wird ein eigenes AOCS SCOE gebaut.  

Besondere Anforderungen

Weil das AOCS SCOE direkt an die Hardware angeschlossen wird, die später in den Orbit fliegt, d. h. an das sogenannte Flight Model, muss das dSPACE SCALEXIO-System sehr hohe Anforderungen erfüllen: 

  • Galvanische Trennungen zum Schutz des Satelliten: sowohl zwischen dem Satelliten und dem AOCS SCOE als auch zwischen der Stromversorgung des AOCS SCOE und dem Stromnetz  
  • Selbsttestprozedur vor dem Anschluss an Satelliten bzw. DUT (Device under Test)
  • Zustandsüberwachung (Temperaturwerte, Rauchentwicklung, allgemeiner AOCS-SCOE-Status) abrufbar lokal vor Ort und von extern   
  • Zeitsynchronisation über PPS (Puls-Per-Second; Meinberg-Zeitsignal)
  • Halogenfreie Kabelisolierungen
  • Eignung aller Komponenten für den Einsatz im Reinraum
  • Integrierter Host-PC und eine ausziehbare Konsole für die lokale Nutzung 
  • Nachweis der elektromagnetischen Verträglichkeit
Kurzportrait: SCALEXIO Hypervisor Extension

Kurzportrait: SCALEXIO Hypervisor Extension

Die SCALEXIO Hypervisor Extension von dSPACE basiert auf einer kernelbasierten virtuellen Maschine (KVM). Sie führt das SCALEXIO-Echtzeitbetriebssystem und virtuelle Maschinen mit Standard-Linux-Distributionen gleichzeitig aus. Dies ermöglicht die Integration von Linux-Echtzeit- und Nicht-Echtzeitanwendungen, zum Beispiel Linux-basierten Modellierungs- und Simulationswerkzeugen, in die SCALEXIO-Real-Time-PC-Umgebung und unterstützt den Datenaustausch mit niedriger Latenz und hoher Bandbreite zwischen beiden Systemen. 

Kurzportrait: Software ASTOS

Kurzportrait: Software ASTOS

Die Software ASTOS eignet sich für die Optimierung der Flugbahn und des Designs von Raumfahrzeugen, die Simulation von Missions- und Systemkonzepten, den Entwurf und die Analyse von GNC/AOCS, die Sicherheits- und Risikoanalyse für Weltraummüll bzw. den Aufstieg von Trägerraketen und die Fehlerbudgetierung. Leistungsstarke Visualisierungsfunktionen ermöglichen die Berechnung von Widerstands- und Sonnenstrahlungsstörungen für Sonnensegelanwendungen. Ein fließender Arbeitsablauf vom Modell über den Prozessor bis zur Hardware-in-the-Loop-Simulation ist in Validierungseinrichtungen eingebettet. Die EGSE-Produktfamilie wird durch ein rekonfigurierbares AOCS SCOE auf Basis der dSPACE HIL-Produktfamilie und einen Kamera- und Lidar-Simulator für Echtzeittests von bildverarbeitungsbasierten Navigationsalgorithmen erweitert. 

Satellitentests am Weltraumbahnhof in Kourou

Der Start des ersten der beiden CO2M-Satelliten ist für Anfang 2026 vom Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana mit einer Vega-Rakete geplant. Dazu wird auch das dSPACE SCALEXIO-System vor Ort in Kourou sein, um die Funktionen der Satelliten vor dem Start zu testen. Beide Satelliten sollen dann in ihrem Orbit in 735 km Höhe ab 2026 einsatzbereit sein. In den nachfolgenden Jahren möchte die EU die Zahl der CO2M-Satelliten auf drei erhöhen. Auch für den zusätzlichen Satelliten würde wieder ein eigenes AOCS SCOE auf Basis von dSPACE SCALEXIO-Systemen aufgebaut.

Firmenprofil OHB

Firmenprofil OHB

Die OHB SE mit Hauptsitz in Bremen ist ein börsennotierter Raumfahrt- und Technologiekonzern, der sich in die drei Geschäftsbereiche Space Systems, Aerospace und Digital unterteilt. Insgesamt hat der Konzern europaweit knapp 3.000 Beschäftigte an 15 Standorten. Das größte Tochterunternehmen der OHB SE, die OHB System AG, mit Hauptsitz in Bremen und einem weiteren Standort in Oberpfaffenhofen bei München, hat mehr als 40 Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Hightech-Lösungen für die Raumfahrt und weitere Anwendungsfelder. Das Portfolio an Produkten und Dienstleistungen reicht dabei von der Realisierung von Satellitensystemen für Erdbeobachtung, Navigation, Telekommunikation, Wissenschaft und Aufklärung über die Ausarbeitung und Umsetzung von Missionen zur Erforschung des Weltalls bis hin zur Entwicklung von Systemen für die astronautische Raumfahrt. 

Firmenprofil Astos Solutions

Firmenprofil Astos Solutions

Die im Jahre 2006 gegründete Astos Solutions GmbH mit Sitz in Stuttgart ist ein mittelständisches Unternehmen und gehört zu den Spitzenanbietern von Software und Testsystemen, die für die Planung von Raumflugmissionen und die Entwicklung von Raumfahrzeugen verwendet werden. Mit ihrem einzigartigen Spektrum von standardisierten und individuellen Produkten und Dienstleistungen bietet die Astos Solutions GmbH Lösungen für ein breites Spektrum von Anwendungen. Zu den typischen Betätigungsfeldern gehören die Analyse, Simulation, Trajektorienoptimierung, Animation und Visualisierung von Missionsanalyseergebnissen in Raumfahrtanwendungen.

Über die Autoren:

Sven Weikert

Sven Weikert

Technischer Direktor bei der Astos Solutions GmbH

Ann-Theres Schulz

Ann-Theres Schulz

Projektleiterin Standardplattform für Erdbeobachtung Eos bei OHB

Weiterführende Informationen

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