Die Automobilindustrie steht vor zahlreichen Herausforderungen bei der Entwicklung, Verifikation und Validierung der zunehmend digitalen und vernetzten Komponenten, die das Fahrzeug der Zukunft definieren werden. Neben reinen Serviceleistungen erwarten die Kunden eine kontinuierliche Weiterentwicklung während des Betriebs, die zusätzlich zu sicherheitsrelevanten Updates durch neue Features den Wert des Fahrzeugs über den gesamten Produktlebenszyklus erhält

Damit einher gehen nicht nur neue E/E-Architekturen, sondern es kommt auch zu einer Überlagerung von verschiedenen Phasen des Entwicklungsprozesses. Das Fahrzeug wird nicht länger als ein in sich abgeschlossenes Produkt, sondern als ein offenes und über seine Lebensdauer veränderliches System verstanden. Verbesserungen am Fahrzeug können dabei nicht durch das Austauschen von Hardware erfolgen, da dies sowohl auf Kunden- als auch auf Herstellerseite zu einem nicht unerheblichen logistischen und finanziellen Aufwand führen würde. Stattdessen sollen die Funktionen über Software bereitgestellt werden, wie es jeder zum Beispiel von seinem Smartphone gewohnt ist. Sowohl der Austausch von Apps als auch sicherheitskritische Updates lassen sich bequem mit einem Klick erledigen. Man spricht daher in diesem Zusammenhang vom „software-definierten Fahrzeug“.

Problemstellung – Datengetriebener Ansatz

Warum stellt dieser Paradigmenwechsel die Automobilindustrie vor eine große Herausforderung?

Das software-definierte Fahrzeug darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss immer in Verbindung mit seiner Umgebung gesehen werden. Diese bietet nicht nur eine nahezu unendliche Vielfalt an Situationen, sondern verändert sich kontinuierlich. Die daraus resultierende Unbeherrschbarkeit setzt sich bis in die Testaufgabe durch, so dass sie den Einsatz datengetriebener Lösungsansätze erfordert. Die Daten dienen dabei nicht nur zur Funktionsentwicklung, sondern sie werden später auch zur Absicherung benötigt. Daraus ergibt sich ein neues Problem: Es reicht nicht, einfach nur viele Daten zu sammeln, sondern es müssen relevante Datensätze aus der schier unendlichen Vielfalt herausgefiltert werden.

Um dies zu ermöglichen, ist ein neuer, ganzheitlich ausgelegter Prozess notwendig. Er muss sich vom Einfahren der Daten, über deren Weiterverarbeitung und das Training der KI bis hin zur Gesamtintegration erstrecken und dabei auf sich kontinuierlich wiederholenden Prozessen aufgebaut sein, die die Systemreife mit jeder Iteration weiter erhöhen.

Im aktuellen Entwicklungsprozess werden die Daten im Fahrzeug auf Festplatten aufgezeichnet und in regelmäßigen Intervallen ausgelesen. Dies erfolgt entweder durch ein Austauschen der Festplatten oder WLAN-Übertragung an definierten Orten. Neben den Hardware-Kosten ist dazu ein erheblicher logistischer Aufwand erforderlich. Während dieses Verfahren im Rahmen der Entwicklung noch anwendbar ist, stößt es spätestens ab der Serienreife jedoch an seine Grenzen. Neben den immensen Hardware-Kosten ist ein Auslesen der Daten dann nur noch in langen Wartungsintervallen möglich und somit kein praktikabler Ansatz.

Lösung – Datenaufnahme in der Flotte mit Selektierung

Wie also muss die Datenaufnahme strukturiert sein, um effektiv und kostengünstig die dringend benötigten Daten für den Entwicklungsprozess zu generieren?

Hierzu muss man sich vom Gedanken des einzelnen Testfahrzeugs lösen und einen Blick auf die gesamte Fahrzeugflotte legen. Mit ihr stehen unzählige Fahrzeuge bereit, die jeden Tag am Verkehrsgeschehen beteiligt sind. An einer ausreichenden Menge von Daten mangelt es demzufolge nicht, kritisch bleibt aber weiterhin die Selektion relevanter Anteile.

Die Lösung? Eine Selektion der Daten bereits im Fahrzeug selbst, und zwar im gleichen Augenblick, in dem sie entstehen. Am Ende eines Tages bleiben somit möglicherweise nur wenige Sekunden übrig, die aber eine besonders interessante oder sogar kritische Situation darstellen. Denkt man einen Schritt weiter, an die zunehmende Vernetzung, lässt sich der Ansatz auf die Flotte erweitern. Sind mehrere Fahrzeuge an derselben Situation beteiligt, so können die Datensets fusioniert werden, um die abzuspeichernde Menge weiter zu begrenzen und das Szenario gleichzeitig umfangreicher auszugestalten.

Aufgrund der somit erheblich reduzierten Datenmenge wird eine Übertragung über Mobilfunk möglich – egal ob die Daten zur langfristigen Speicherung im Cloud-Back-end abgelegt oder bei latenzkritischen Anwendungen nah am Erhebungsort verarbeitet werden. Es kann dadurch auf teure Hardware zur Speicherung verzichtet werden und die Logistik zum manuellen Austausch und der damit verbundene Stillstand des Fahrzeugs entfällt ebenfalls.

Mehrere Fahrzeuge aus der Flotte eines Herstellers können lokal miteinander kommunizieren, um die Datensätze zu fusionieren und die abzuspeichernde Datenmenge zu begrenzen.

Entwicklung/Simulation

Aufgrund der situativen Datenerfassung wurden die Daten schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung einer initialen Analyse und Annotation mit Metadaten unterzogen. Daher kann der Effizienzgedanke beim Modelltraining und den anschließenden Tests fortgeführt werden. Aus einer Szenariendatenbank lassen sich ähnliche Szenarien herausfiltern und gleichzeitig zusätzliche synthetische Szenarien ableiten. Darunter versteht man eine gezielte Variation der Szenarioparameter, die sich von der Abdeckung eines breiteren Spektrums bis zum Test von besonders interessanten Situationen erstrecken kann. Ein sehr anschauliches Beispiel dazu ist die Variation der Trajektorien anderer Verkehrsteilnehmer oder das nachträgliche Einbringen kritischer Umweltbedingungen wie Regen oder Blendwirkung durch die Sonne.

Idealerweise erfolgt der iterative Entwicklungsprozess durch SIL-Tests in der Cloud, da dies die höchste Kosteneffizienz bei gleichzeitig kürzester Durchlaufzeit garantiert. Erst wenn dadurch eine ausreichende Modellreife nachgewiesen ist, erfolgt die Verifikation und Validierung in der nächsthöheren Testinstanz, zum Beispiel auf dem Hardware-in-the-Loop-Prüfstand, bevor die Algorithmen abschließend im Fahrversuch in besonders kritischen Situationen erprobt werden können.

Nachdem durch SIL-Tests in der Cloud eine ausreichende Modellreife nachgewiesen wurde, erfolgt die Verifikation und Validierung, zum Beispiel durch HIL-Tests, bevor die Algorithmen abschließend im Fahrversuch erprobt werden. 

Validierung & Verifikation

Nachdem das Problem der Datenaufnahme und Funktionsentwicklung adressiert wurde, bleibt eine zentrale Problemstellung noch ungelöst: Wie kann die Sicherheit des software-definierten Fahrzeugs in einer offenen, sich ständig wandelnden Umgebung nachgewiesen werden?

Genau wie bei der Datenaufnahme reicht es nicht mehr aus, auf einzelne Lösungen zu setzen. Auch an dieser Stelle ist es entscheidend, die vielen unterschiedlichen Akteure, die am Absicherungsprozess beteiligt sind, in einer gemeinsamen Plattform eng zusammenzubringen. Darüber hinaus ergibt sich weiteres Potential zur Beschleunigung der Prozesse, wenn die Prüfung nicht nur am Realfahrzeug selbst durchgeführt wird, sondern sich bis in den simulativen Bereich hinein erstreckt. Es lohnt sich, diesen Schritt schon möglichst früh zu gehen und praktisch zu erproben, um den Grundstein für zukünftige Standardisierungen legen zu können, die die Zusammenarbeit zwischen Entwicklern und Auditoren erleichtern.

dSPACE hat dazu gemeinsam mit den Unternehmen TÜV Nord, T-Systems und Detecon International GmbH den „Digital Loop“ als leistungsstarkes Konzept präsentiert, das neben dem Entwicklungsprozess insbesondere die kontinuierliche Weiterentwicklung adressiert. Ausführliche Informationen dazu finden Sie im Whitepaper „Connected Car Challenges Digital Loop – Data-Driven Development of Driving Function”

Über den Autor:

Frederik Ikemeyer

Frederik Ikemeyer

Strategic Product Engineer, Automated Driving & Software Solutions, dSPACE GmbH

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