Effizienzsteigerung und Dekarbonisierung sind zentrale Treiber der modernen Fahrzeugentwicklung. Um bei immer kürzeren Entwicklungszyklen die tatsächliche Wirksamkeit von Maßnahmen schon früh zu bewerten, liefern Co-Simulationen von dSPACE ASM für detaillierte Fahrzeugmodelle und PTV Vissim für realistischen Verkehr erstaunlich detaillierte Einblicke.

Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis und oft Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. In Deutschland ist der Verkehrssektor für mehr als ein Viertel des Endenergieverbrauchs und der entsprechenden Emissionen verantwortlich und muss daher einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung des anthropogenen Klimawandels leisten. Das Streben nach mehr Effizienz und Nachhaltigkeit ist ein wesentlicher Treiber der modernen Fahrzeugentwicklung, ambitionierte Flottenemissionsziele setzen den Rahmen. So ist bereits heute fast jeder zweite neue Pkw in Deutschland ein Hybrid- oder Elektrofahrzeug, und spätestens 2030 dürften die Neuzulassungen in wichtigen Märkten wie Europa von batterieelektrischen Fahrzeugen dominiert werden.

Effizienzpotentiale identifizieren und heben
Simulation des Verkehrsflusses mit PTV Vissim.

Effizienzpotentiale identifizieren und heben

Zur Steigerung der Effizienz eines Fahrzeugs gibt es vielfältige Lösungsansätze beginnend bei der Wahl von Fahrzeugkonzept und Aufbauform, zum Beispiel SUV oder Limousine, über die Gestaltung von Antriebssystem und Komponenten bis zur Optimierung der Betriebsstrategie. In batterieelektrischen Fahrzeugen führt höhere Effizienz direkt zu einer Erhöhung der Reichweite pro Ladung, ohne dafür eine höhere Batteriekapazität zu erfordern. Standardisierte Erprobungszyklen wie der WLTP (Worldwide Harmonised Light Vehicle Test Procedure) sind nur bedingt geeignet, um valide Aussagen über tatsächliche markt- und kundenrelevante Einsparpotentiale zu generieren. Eine verlässliche Evaluation der Potentiale erfordert die Prüfung bei unterschiedlichen Verkehrssituationen, Streckentypen und Umgebungsparametern. Als Realerprobung ist dies jedoch nur mit hohem Aufwand und erst ab ausreichendem Projektreifegrad umsetzbar.

Ganzheitliche Bewertung von Maßnahmen in realistischen Simulationen

Eine effiziente Alternative zur Realerprobung ist die Untersuchung in der Simulation. Für eine valide Bewertung der Effizienz und möglicher Optimierungsmaßnahmen ist es notwendig, sowohl das Fahrzeug als auch die Verkehrs- und Fahrumgebung sehr detailliert und realitätsgetreu zu modellieren, was hochspezialisierte Software-Umgebungen mit spezifischem Domänenwissen erfordert. Zum einen ist eine detaillierte Simulation des Gesamtfahrzeugs mit allen relevanten Komponenten und Betriebsstrategien erforderlich, um die Auswirkungen auch kleiner Variationen herausarbeiten zu können; zum anderen ist eine genaue Abbildung des Verkehrsnetzes und eine realistische Simulation des Umgebungsverkehrs auf verschiedenen Streckentypen sowie in unterschiedlichen Situationen notwendig. Die Co-Simulation beider Systeme ermöglicht nun die reproduzierbare ganzheitliche Bewertung der kundenrelevanten Effizienz in flexibel parametrisierbaren Verkehrsszenarien, und das bereits früh im Entwicklungsprozess vor dem Aufbau erster Prototypen. 

Co-Simulation von Verkehr und Fahrzeug auf Expertenebene 

Hier kommen zwei Expertenlösungen für die Verkehrs- und Fahrzeugsimulation ins Spiel:
PTV Vissim ist ein Werkzeug zur Simulation des Verkehrsflusses und weltweit anerkannt für die Bewertung des Verkehrsflusses von neuen Straßeneinrichtungen. Es verwendet flexible Verhaltensmodelle, die Fahrcharakteristika und Interaktionen aller Verkehrsteilnehmer individuell in Längs- und Querbewegung abbilden, was dann zu einem realistischen Gesamtverkehr führt. Örtlich beobachtetes reales Fahrverhalten kann durch Kalibrierung der Teilnehmer präzise in der Simulation abgebildet werden. Dazu gehören unterschiedliche Fahrstile und Regelverstöße.
Um die Effizienz zukünftiger Fahrzeuge zu analysieren und zu optimieren, bildet die Simulation Tool Suite ASM (Automotive Simulation Models) diese realitätsnah ab. Dies umfasst Fahrzeugaufbauten und Antriebssystem-Topologien. So können beispielsweise verschiedene Hybridkonzepte mit detaillierten Modellen des Verbrennungsmotors und der Elektromotoren sowie batterieelektrische und brennstoffzellenbetriebene Fahrzeuge simuliert werden. Fahrzeugkonzepte und Karosseriedesigns lassen sich flexibel konfigurieren und detailliert parametrisieren. Schnittstellen ermöglichen die Integration von Regelalgorithmen, die in Form von virtuellen Steuergeräten (V-ECUs) entwickelt wurden, um erste Optimierungen und Analysen in Software-in-the-Loop (SIL)-Simulationen durchzuführen. Im weiteren Entwicklungsprozess können verschiedene simulierte Fahrzeugkomponenten durch reale Teile ersetzt werden, zum Beispiel zur Validierung von E-Maschinen und Akkumulatoren durch Emulation physikalischer Größen am Power-HIL.

Mehrwerte der Co-Simulation 

Um möglichst früh im Entwicklungsprozess realitätsnahe Simulationen durchführen zu können, bietet die Co-Simulation von PTV Vissim und ASM einen hohen Realitätsgrad in den relevanten Domänen Verkehr und Fahrzeug. Dabei wird der von PTV Vissim generierte Verkehr in ASM als Umgebungsverkehr für das detaillierte EgoFahrzeug verwendet, so dass alle Fahrzeuge miteinander interagieren. Speziell die Kombination aus beiden Welten ermöglicht es, realistische Bedingungen abzubilden, um zum Beispiel realitätsnahe Messansätze wie Real-Driving-Emission (RDE)-Fahrten reproduzierbar zu simulieren. Diese Co-Simulation kann dabei in den verschiedenen Entwicklungsphasen eingesetzt werden, von SIL über HIL bis hin zur Simulation mit einem echten Fahrzeug im Regelkreis (VIL). Um die Absicherung neuer Funktionen möglichst effizient zu gestalten und den Parameterraum gezielt zu optimieren, ist die Simulation auch parallelisiert in der Cloud durchführbar. Die webbasierte Simulationslösung dSPACE SIMPHERA bietet die Möglichkeit, Parameter in definierten Bereichen zu variieren sowie Algorithmen zur Optimierung zu integrieren, die mit möglichst wenigen Iterationen Optima finden oder Grenzfälle identifizieren. Parametrisierung und Orchestrierung erfolgen über das Web-Interface, so dass Experten unterschiedlicher Domänen bequem von verschiedenen Standorten aus zusammenarbeiten können. Per Continuous Integration (CI) ist es möglich, den mit dieser Lösung entwickelten und optimierten Steuergerätecode automatisch zu kompilieren und in der Co-Simulation zu testen. Anschließend stehen Berichte zur Analyse bereit. 

Abbildung 1: Schritte zur Co-Simulation mit PTV Vissim und ASM in SIMPHERA

Bewertung des Proof of Concept

Die für den Proof of Concept erforderlichen Schritte wurden in SIMPHERA vorgenommen. Sie zeigen exemplarisch die Co-Simulation und Analyse des Energieverbrauchs eines batterieelektrischen Mittelklassefahrzeugs mit je einer permanenterregten Synchronmaschine je Achse im komplexen Umgebungsverkehr (Abbildung 1). Bei der Verkehrsumgebung handelt es sich um einen Abschnitt der Autobahn A33 bei Paderborn mit einer Erweiterung um eine Landstraße und einen innerstädtischen Bereich (Abbildung 2). Im Vorbereitungsschritt wird das Straßennetzwerk von Open Street Map in ModelDesk importiert und im Anschluss über das OpenDRIVE Format für PTV Vissim exportiert. Das Setup gliedert sich logisch in zwei Bereiche: Ego-Fahrzeug und Umgebungsverkehr. Für das Ego-Fahrzeug werden in ModelDesk die gewünschten Fahrmanöver definiert und mögliche ECU-Parameter und Aktivierungssignale vorgegeben. Für den Umgebungsverkehr werden in PTV Vissim die auf Zähldaten des Bundesamtes für Straßenwesen (BASt) basierenden Verkehrsmengen, die Fahrzeugtypen und die Verhaltensmodelle der Fahrzeuge festgelegt sowie Ampelschaltungen und die Verkehrsführung. Im nächsten Schritt wird der Test in SIMPHERA parallel in mehreren Instanzen mit unterschiedlicher Verkehrsmenge simuliert. Durch die schnelle SIL-Simulation stehen die Ergebnisse kurzfristig zur Verfügung (Abbildung 3). Aus ihnen wird der Einfluss der Verkehrsmenge auf Fahrzeiten, Durchschnittsgeschwindigkeiten und Energieverbrauch ersichtlich.

Abbildung 2: Übersicht der Teststrecke in PTV Vissim (links) und in ModelDesk (rechts). Die Streckendaten wurden zwischen den Tools im OpenDRIVE-Format ausgetauscht.

Abbildung 3: Energieverbrauch des Ego-Fahrzeugs in der Hauptverkehrszeit (rot) und in der Nebenverkehrszeit (blau).

Tabelle: Ausgewählte Kennwerte der Verkehrsszenarien Off-Peak/Peak.

Ausblick: Analyse von Antriebskonzepten und Fahrfunktionen

Die hier am Beispiel der Energieverbrauchsanalyse demonstrierte Co-Simulation von detaillierter Fahrzeug- und detaillierter Verkehrssimulation kann auch in anderen Bereichen mehrwertstiftend eingesetzt werden, zum Beispiel bei der Entwicklung von autonomen Shuttlebussen für den urbanen Betrieb. Mit PTV Vissim lässt sich der multimodale Umgebungsverkehr, auch mit größeren Personenmengen, realistisch simulieren. Funktionen für das automatisierte Fahren für Shuttles können als V-ECU an ASM gekoppelt werden. Zusammen mit einer realitätsnahen Sensorsimulation in AURELION und der „Intelligent Test Control“ in SIMPHERA können Grenzfälle in der Interaktion mit dem Umgebungsverkehr und Passanten effizient und parallel identifiziert und analysiert werden. Mit einer solchen Co-Simulation lassen sich Antriebskonzepte und Fahrfunktionen unter realistischen Bedingungen effizient simulieren und frühzeitig validieren. 

 

dSPACE MAGAZINE, PUBLISHED NOVEMBER 2022

Über die Autoren:

Dr.-Ing. Matthias Pfriem

Dr.-Ing. Matthias Pfriem

Dr.-Ing. Matthias Pfriem betreut als Senior Account Executive Kunden aus der Automobilentwicklung bei der PTV Planung Transport Verkehr GmbH in Karlsruhe.

Prof. Dr. Jochen Lohmiller

Prof. Dr. Jochen Lohmiller

Prof. Dr. Jochen Lohmiller war Produktmanager für Verkehrssimulation bei der PTV GmbH in Karlsruhe und ist nun Professor für Verkehrswesen an der Berliner Hochschule für Technik (BHT).

Dennis Roeser

Dennis Roeser

Dennis Roeser ist Senior Application Engineer für Simulationsmodellierung bei der dSPACE GmbH in Paderborn.

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