Kaum eine Innovation beschäftigt die Transportbranche mehr als das autonome Fahren. Wie dieses alltagstauglich werden kann, zeigt MAN mit engagierten Machbarkeitsstudien und mit einem daten- sowie cloud-basierten Vorgehen für die Entwicklung und die virtuelle Absicherung.

Der digitale Wandel bietet dem Güterverkehr bereits heute eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung durch Vernetzung, GPS-Logistik, Assistenzsysteme etc. Besonderes Potenzial verspricht das autonome Fahren. Autonom fahrende Transporter ermöglichen einen kontinuierlichen Warenfluss zwischen Produzenten, Produktionsstätten, Lagern, Häfen, Umschlagplätzen und Kunden. Dies beschreibt ein nahezu ideales Szenario für die Transport- und Logistikbranche. Für wichtige Abschnitte – insbesondere geschlossene Bereiche – ist die Machbarkeit bereits durch Studien belegt.

Autonom fährt effizient

„Im Hamburger Hafen steuert zum Beispiel ein autonom fahrender Lkw das Containerterminal an und findet selbstständig und präzise seinen Weg zum Umschlagplatz“, erläutert Dr. Eva Karrer-Müller, Senior Manager, Electric/Electronic Validation ADAS & Automation, MAN Truck & Bus SE. Ein Sicherheitsfahrer überwacht die Fahrt sowie die automatische Be- und Entladung. Diesen Erfolg erzielten die Hamburger Hafen und Logistik AG und MAN im gemeinsamen Projekt Hamburg TruckPilot.
Weitere Pilotprojekte zeigen wertvolle Effizienz-Potenziale auf und belegen die Machbarkeit und Praxistauglichkeit autonomer Systeme: 

  •  EDDI: Lkw-Platoons (Kolonnenfahrten) im realen Logistikbetrieb mit dem Projektpartner DB Schenker 
  •  aFAS: Ein unbemanntes Sicherheitsfahrzeug folgt vollautomatisch beweglichen Baustellen. 
  • ANITA: Die „Autonome Innovation im Terminal-Ablauf“ ermöglicht es, Fahrzeuge durch effizientere Steue-
    rung des Container-Umschlagprozesses und Entkoppelung von den Lenk- und Ruhezeiten der Lkw-Fahrer flexibler einzusetzen.

Wichtige Erkenntnisse aus den Projekten sind ein geringerer Kraftstoffverbrauch durch vorausschauendes automatisiertes Fahren, eine erhöhte Sicherheit und ein geringerer Personalbedarf in Zeiten des zunehmenden Personalmangels. Claus Hellberg, Vice President, Head of Electric/Electronic Verification & Validation, MAN Truck & Bus SE, macht deutlich: „Das autonome Fahren hat das Potenzial, das Transportwesen grundlegend zu verändern.“

Entwicklung von autonomen Fahrern anstelle von Funktionen

Was für Kunden und Anwender aus der Transportbranche besonders reizvoll ist, stellt die Entwickler jedoch vor spannende Herausforderungen. Die Level 4-Automatisierung verursacht eine immense, zusätzliche Komplexität bei der Entwicklung und Absicherung von Fahrsteuerungen: Es geht nicht mehr nur darum, technische Funktionen zu entwickeln und zu testen, sondern den menschlichen Fahrer bestmöglich zu ersetzen. „Um Vertrauen in den künstlichen, autonomen Fahrer aufzubauen, muss er sich durch unfallfreies Fahren in relevanten Testszenarien beweisen“, fasst Lorenz Bernwieser, Team Lead, Electric/Electronic Validation ADAS & Automation, MAN Truck & Bus SE die Herausforderungen zusammen.

Vorteile des autonomen Güterverkehres

  • Mehr Sicherheit auf den Straßen und reibungsloserer Verkehr
  • Hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit
  • Die hohe Verfügbarkeit fördert das Geschäft des Kunden.
  • Potenzial für neue Dienstleistungen 
  • Geringere Gesamtbetriebskosten
  • Kompensation von Fahrermangel
Wie wird autonomes Fahren wirtschaftlich erfolgreich?
Der Weg zum autonomen Fahren folgt einer definierten Roadmap.

Wie wird autonomes Fahren wirtschaftlich erfolgreich?

Die Herausforderung für einen OEM (Original Equipment Manufacturer) besteht darin, neben den herkömmlichen Entwicklungsmethoden ein neues Vorgehen mit neuen Methoden und Komponenten effizient ein- und durchzuführen. Dazu gehören die Aufzeichnung von Sensordaten, maschinelles Lernen, datengetriebene Entwicklung und Absicherung. „Hierfür müssen unter hohem Zeit- und Kostendruck Know-how aufgebaut sowie neue Prozesse und Werkzeugketten entwickelt und implementiert werden“, berichtet Claus Hellberg. 

Effizient Erfolge erzielen

Für die Einführung eines effizienten, nachhaltigen Vorgehens evaluierte MAN diverse Anbieter von Prozess-Consulting und Entwicklungswerkzeugen. Schnell wurde klar, dass für den bestmöglichen Erfolg eine ganzheitliche Lösung aus einer Hand gesucht werden sollte. Konkret ging es um Lösungskompetenz von der Datenaufzeichnungskampagne bis zur Homologation. Die bei dSPACE bereits verfügbaren oder in Entwicklung befindlichen Lösungsbausteine, unterstützt durch Beratungs- und Engineering-Dienstleistungen sowie ein Partnernetzwerk, überzeugten und führten zu einer auf mehrere Jahre ausgelegten partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Gründe für die Auswahl von dSPACE: 

  • Umfangreiches Prozesswissen für die Absicherung von Systemen für Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) / Autonomous Driving (AD)
  • Etabliertes Lösungsangebot für die Virtualisierung der Steuergeräte-Funktionalität (V-ECU) 
  • Durchgängiges Portfolio für die datengetriebene Entwicklung von der Datenerfassung über die Annotation bis zum nachfolgenden Datenmanagement
  • Nachgewiesene Kompetenz und Erfahrung in Simulation und Absicherung in den Bereichen Hardware-in-the-Loop (HIL)- und Software-in-the-Loop (SIL)
  • Cloud- und On-Premise-Lösung SIMPHERA für die hochskalierbare Simulation von unzähligen Fahrkilometern mit relevanten Fahrszenarien 
  • Partnernetzwerk für ergänzende Themen 

Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit in früheren Entwicklungsprojekten mit konventioneller, modellba-
sierter Entwicklung und Absicherung auf Basis von Hardware-in-the-Loop (HIL)-Simulation bestand hohes Vertrauen seitens MAN in die Zuverlässigkeit von dSPACE.

Alle Verarbeitungsstufen eines autonomen Systems und das Gesamtsystem werden durch Simulation abgesichert. 

Wesentliche Prozessschritte für eine zuverlässige und effiziente AD-Entwicklung.

Partnerschaftliche Prozessentwicklung, die zum Ziel führt

“Gemeinsam mit dSPACE und weiteren Partnern wurde die mehrstufige Teststrategie für die Absicherung ei-
nes EBA (Emergency Brake Assistant) entwickelt. Dies diente der Vorbereitung weiterer Absicherungsschritte künftiger L3/L4-Funktionen“, erläutert Dr. Eva Karrer-Müller. Der konzipierte Prozess führt den Paradigmenwechsel der datengetriebenen Entwicklung ein und ist auf höchstmögliche Durchgängigkeit angelegt. Die Software-Entwicklung und Absicherung verläuft in den folgenden Schritten:

  • Zielgerichtete Datenerhebung im Fahrversuch 
  • Data Ingest und Data Enrichment (Annotation, Tagging, Selection) 
  • Data Replay für Entwicklung und Test, primär im SIL-Bereich, aber auch am HIL-Simulator
  • Entwicklungsbegleitende, iterative Simulation und Validierung 
  • Ableitung von Homologationsargumentationen

Eine Lösungstoolkette, die abliefert

Um die vielfältigen Themen autonomer Fahrsysteme erfolgreich zu bearbeiten, bedarf es geeigneter, leistungsfähiger Werkzeuge und Kompetenzen. Gemeinsam mit dSPACE wurde eine integrierte Werkzeugkette konzipiert, iterativ entwickelt und in Betrieb genommen, mit der Entwickler den vielfältigen Herausforderungen begegnen können: 

  • Für die Aufzeichnung aller Daten (Sensorrohdaten, Kameravideos, Busdaten, XCP-Daten) setzt MAN auf den In-Vehicle-Daten-Logger AUTERA AutoBox. 
  • Mit Hilfe der AUTERA Upload Station werden die aufgenommen Daten in die Storage-Systeme eingespielt und damit den Entwicklern zur Verfügung gestellt.
  • Mittels der Sensor-Daten-Management-Plattform IVS werden die Daten strukturiert und organsiert. Die Entwickler erhalten jederzeit Zugriff auf die Daten aller Verarbeitungsschritte und die Verwaltung der riesigen Datenmengen wird erleichtert
  • Auf Basis des Produktiv-Codes werden virtuelle Steuergeräte als Testobjekte erstellt und im Rahmen einer Continuous-Integration (CI)-Build-Pipeline produziert. 
  • Mit Hilfe der ISO26262 zertifizierten zentralen, web-basierten Simula-tions- und Testplattform SIMPHERA werden Open- und Closed-Loop Testausführungen konfiguriert und die skalierte Testausführung in der Cloud orchestriert. 

Diese Werkzeugketten und Methoden unterstützen den End-to-End-Prozess und haben sich bei der Entwicklung und Validierung des AD-Stacks bewährt. IVS, die Plattform zur Verwaltung von Sensordaten, gewährleistet maximale Konsistenz.

Einblick in einen Entwicklungs- und Absicherungsschritt

Einblick in einen Entwicklungs- und Absicherungsschritt

Ein praktisches Beispiel zeigt, wie dies im Entwicklungsalltag eines Steuergeräts funktioniert. Dieses wird zunächst als virtuelles Steuergerät (V-ECU) erstellt. Dabei muss MAN selbst entwickelten Code und Komponenten von Zulieferern so integrieren, dass sie performant bleiben, korrekt funktionieren sowie spezielle V-ECU-Anforderungen erfüllen. Für die Absicherung dient der folgende Prozess:

  •  Einbindung der Integrationen und des Builds der V-ECUs in die Continuous-Integration (CI)-Pipeline von MAN
  • Validierung von Anforderungen im Bereich Realdaten per hochgradig skaliertem Data Replay Testing in SIMPHERA
  • Validierung komplexer, sicherheitskritischer Szenarien per szenariobasiertem Testen mit hochgradig skalierten Simulationen in SIMPHERA

Dieser Prozess wird iterativ so lange durchgeführt, bis die Software den definierten Anforderungen genügt. Parallel wird die Software auf dem realen Steuergerät integriert, und es werden weitere Tests am Hardware-in-the-Loop (HIL)-Simulator für ausgewählte Betriebspunkte (Cornercases) vorgenommen. Mit SIMPHERA als zentraler Plattform lassen sich Testszenarien und Artefakte aus der SIL-Simulation im HIL-Test weiterverwenden. Dies gilt auch für die Simulationsmodelle inklusive deren Parametrierungen. Die in den SIL-Tests verwendeten Szenarien stehen schon in SIMPHERA zur Auswahl oder wurden für spezielle Anwendungssituationen ergänzend erstellt. Die Testparameter
der einzelnen Szenarien wie Geschwindigkeit, Abstände etc. lassen sich in SIMPHERA komfortabel automatisiert variieren, um eine hohe Testabdeckung zu erzielen. 

Warum benötigt man skalierbare Simulationen?
Die cloud-basierte, hochskalierbare Lösung SIMPHERA sorgt mit szenariobasierten Tests zuverlässig für die Simulation und Validierung von Funktionen für das autonome Fahren.

Warum benötigt man skalierbare Simulationen?

Autonome Fahrsteuerungen müssen höchsten Sicherheitsanforderungen genügen. Jede neue Softwareversion einer Fahrsteuerung muss ihre Sicherheit in umfangreichen Tests beweisen: Sie muss viele Millionen Fahrkilometer ohne katastrophale Unfälle erfolgreich bewältigen. Es würde Jahrzehnte dauern, dies mit Echtzeittests zu verifizieren. Um die Testzeiten deutlich zu verkürzen, werden relevante sicherheitskritische Testszenarien parallel ausgeführt. Hier kommt die Simulationslösung SIMPHERA ins Spiel, die nicht nur hochgradig parallelisierte Simulationen in der Cloud ermöglicht, sondern auch den gesamten Kanon unterschiedlichster Absicherungsmethodiken beherrscht.

Bewertung des Vorgehens

Bewertung des Vorgehens

Mit dem beschriebenen Absicherungsprozess und -vorgehen wird ein Notbremsassistent entwickelt, der den neusten Regularien entspricht. Realtestfahrten sichern den Reifegrad der Software flankierend ab. Im Entwicklungsalltag beweisen der gemeinsam entwickelte Prozess und die Toolkette täglich ihre hohe Eignung für das weitere anspruchsvolle Vorhaben: Sie werden sukzessive auf weitere Level-3- und Level-4-Fahrfunktionen ausgerollt und leisten einen essentiellen Beitrag zur Gesamtabsicherung. „Als Leitkunde ist MAN eng in den SIMPHERA-Entwicklungsprozess eingebunden, und es findet regelmäßig ein gegenseitiger Abgleich statt. Das zielgerichtete, schnelle Vorgehen gelang insbesondere aufgrund der agilen Zusammenarbeit, die flexible Reaktionen auf neue Anforderungen ermöglicht“, berichtet Lorenz Bernwieser. Im partnerschaftlichen Vorgehen wurde die Lösungskompetenz von dSPACE und MAN effizient zusammengeführt.

Methoden und Testumgebungen für die Absicherung: Ein Mix aus Data Replay (DR) von realen Sensordaten und synthetisch generierten szenariobasierten Tests (ScbT) auf SIL- und HIL-Plattformen.

Autonomes Fahren wird ein Gamechanger im Transportwesen

„Das partnerschaftliche Projekt legt einen wichtigen technischen Grundstein für das autonome Fahren im Güterverkehr“, resümiert Claus Hellberg. Schon jetzt fahren autonome Lkw in der virtuellen Welt und lernen von den dort gemachten Erfahrungen. Das Replay von realen Sensordaten kombiniert mit synthetisch kreierten Szenarien bildet eine gelungene Testmixtur für den Reifegrad der Algorithmen. Ein wichtiges Zukunftsthema ergibt sich mit der Homologation des autonomen Fahrzeugs. Das dSPACE Lösungsangebot wird dafür durch Werkzeuge und Dienstleistungen von dSPACE Partnern ergänzt. Die Erkenntnisse aus Studien und technischer Innovation zeigen: Das Transportwesen erfährt mit AD einen Gamechanger. 

Mit freundlicher Genehmigung von MAN Truck & Bus SE

dSPACE MAGAZINE, PUBLISHED APRIL 2023

Consulting- und Engineering-Dienstleistung

Die Entwicklung komplexer E/E-Systeme und Software mit immer mehr sicherheitskritischen Funktionen, insbesondere im Bereich der autonomen Systeme, wirft die Frage auf, wie die funktionale Sicherheit gewährleistet werden kann. Zugleich müssen Wege für eine effiziente Entwicklung gefunden werden. In den Bereichen funktionale Sicherheit, Teststrategieentwicklung sowie Verifikation und Validierung setzt MAN auf die Expertise und Beratung von dSPACE, um ein kompetentes und effizientes Vorgehen zu gewährleisten. Die Consulting Services von dSPACE übernehmen wichtige konzeptionelle Aufgaben und sorgen für deren effiziente und erfolgreiche Umsetzung im Projekt von MAN. 

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