Im Juli erwarb dSPACE Intempora, einen Pionier auf dem Gebiet der Echtzeit-Entwicklungssoftware. Die beiden Unternehmen verbindet bereits eine lang­jährige strategische Partnerschaft. Durch die Übernahme bietet dSPACE nun eine einzigartige und zuverlässige End-to-End-Lösung sowie eine opti­mierte Unterstützung für innovative Entwicklungsprojekte. Im Interview erläutert Nicolas du Lac, CEO von Intempora, die Vita des Unter­nehmens und welchen Mehrwert die neue Zusammenarbeit mit sich bringt.
 

Vor 20 Jahren war Intempora eines der ersten Unternehmen, das Software für die Sensorsignalverarbeitung entwickelte. Anfangs hat sicher niemand über autonomes Fahren nachgedacht. Wie sind die ersten Entwicklungen entstanden? Und wie kam Intempora-Software schließlich ins Auto?
Nicolas du Lac ist CEO von Intempora

Vor 20 Jahren war Intempora eines der ersten Unternehmen, das Software für die Sensorsignalverarbeitung entwickelte. Anfangs hat sicher niemand über autonomes Fahren nachgedacht. Wie sind die ersten Entwicklungen entstanden? Und wie kam Intempora-Software schließlich ins Auto?

Der Auslöser für die Gründung von Intempora im Jahr 2000 war der Erfolg unserer Kerntechnologie RTMaps, die 1998 am Center of Robotics of Mines ParisTech entwickelt wurde. Zu dieser Zeit arbeitete ein Team unter der Leitung des ehemaligen Direktors Claude Laurgeau an Robotik- und intelligenten Transportsystemen (ITS). Das Team nahm am Eureka-Prometheus-Projekt teil, einem der allerersten EU-finanzierten F&E-Projekte mit Schwerpunkt auf automatisiertem Fahren. Zu Beginn des Projekts wurden autonome Fahrzeuge als Roboter betrachtet. Das Projekt konzentrierte sich daher auf die Bewältigung der mit der mobilen Robotik einhergehenden Herausforderungen: Perzeption, Positionierung, Steuerung, Fähigkeit zur schnellen Bewegung, Sicherheitsanforderungen, Interaktion mit Menschen usw. Damals arbeiteten Bruno Steux und Pierre Coulombeau, Doktoranden in Claudes Team, an zwei Themen: Zum einen entwickelten sie Algorithmen für computergestütztes Sehen und zum anderen beschäftigten Sie sich mit auf Bayes’schen Netzen basierender Datenfusion für die Fahrzeugperzeption und eine genaue Positionierung.

Ihr Ziel war es, diese Algorithmen in Echtzeit in einem Prototyp-Fahrzeug auszuführen, das mit einer Frontkamera, einem Frontradar und den allerersten Modellen von Lidar-Scannern ausgestattet war.

Die beiden stellten bald fest, dass sie 90 % ihrer Zeit mit der Software-Architektur verbrachten und nicht mit den Algorithmen, die im Fokus ihrer Arbeit stehen sollten. Sie brauchten eine modulare (komponentenbasierte) Umgebung zur Verwaltung der verschiedenen Teile ihrer komplexen Software, zum Beispiel für die Datenerfassung von mehreren Fahrzeugsensoren und deren Verarbeitung und auch für die Visualisierungs-, Aufzeichnungs- und Wiedergabe­funk­tionen für die Offline-Arbeit.

Auch integrierten sie einen Zeitstempel- und Datensynchronisierungsprozess, um eine reibungslose und kohärente Sen­sordatenfusion über die verschiedenen Ströme und asynchronen Daten­quellen hinweg zu gewährleisten. Da keine Werkzeuge auf dem Markt ihren Anforderungen entsprachen, entwickelten sie ihre eigene Software-Lösung: RTMaps (Real-Time Multi­sensor Applications). Ein paar Monate später suchte das europäische Projekt­konsortium CarSense nach einer Da­ten­erfassungslösung für Kamera-, Radar- und Lidarsensoren an einem Fahrzeug. Sie testeten RTMaps und befanden die Software als großartig. Daher legten sie Claude und Bruno nahe, eine eigene Firma zu gründen. Die beiden waren sicher, dass ihre Software in Zukunft für die Automobil­industrie nützlich sein könnte.

Was waren die ersten Meilensteine?

Was waren die ersten Meilensteine?

Auf dem IEEE Intelligent Vehicle Symposium in Versailles 2002 zeigte die Ecole des Mines de Paris einen autonomen Fahrzeugprototyp namens LaRA, der RTMaps als Datenverarbeitungssoftware an Bord hatte. Das Fahrzeug wurde freihändig mit mehr als 100 km/h gefahren, wobei eine einzige Kamera zur Lateralsteuerung und ein Pentium-II-Computer im Kofferraum zum Einsatz kamen. Als einer der ersten Kunden von Intempora präsentierte das LIVIC-Labor 2004 ein vollständig autonomes Fahrzeug mit ähnlichen Funktionen, aber mit Quer- und Längssteuerung. Ein paar Jahre später startete die DARPA Grand Challenge in den USA einen internationalen Wettlauf hin zum autonomen Fahren. RTMaps nahm mit dem DotMobil-Team an der Herausforderung teil. RTMaps wurde auch in einem Fahrzeug verbaut, das auf der ITS-Ausstellung 2008 in New York gezeigt wurde. Heute haben wir Kunden auf der ganzen Welt, von denen einige unsere Lösungen bereits seit mehr als 15 Jahren einsetzen. Natürlich hat sich unsere Software seitdem weiterentwickelt und stark verbessert.

Sie beobachten die Entwicklung des autonomen Fahrens seit geraumer Zeit. Welches sind die größten Herausforderungen, die wir bewältigen müssen, um ein selbstfahrendes Auto auf die Straße zu bringen?

Wenn wir über selbstfahrende Autos reden, müssen wir zwischen Robotertaxis und Privatfahrzeugen unterscheiden. Erstere sind mit einer Vielzahl an Sensoren und Computern ausgestattet und entwickeln sich recht langsam. Privatfahrzeuge müssen erschwinglich sein und anderen Wartungsintervallen folgen. Auf dem Weg zu autonomen (Privat-)Fahrzeugen der Stufe 5, die am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, haben wir noch viele Herausforderungen zu bewältigen, auch wenn das Tempo, in dem sie weiterentwickelt werden, hoch ist. Die größte Aufgabe ist dabei die Gewährleistung der Sicherheit in allen Fahrzuständen und -situationen. Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung, um Akzeptanz zu gewinnen. Sicherheit geht mit mehreren technischen Herausforderungen einher:

Sensorgenauigkeit und Effizienz unter allen Bedingungen:Die Sensoren verbessern sich kontinuierlich in Auflösung und Reichweite. Wir müssen Sensortechnologien für ein autonomes Fahrzeug kombinieren, um verschiedene Situationen zu meistern, darunter Fahren bei Nacht, Nebel, Regen, Schnee, Schmutz usw.

Beherrschung der Software-­Komplexität: Autonome Fahrzeuge sind hochkomplexe Echtzeitsysteme und erfordern komplexe Software zur Verarbeitung zahlreicher Datenströme mit hoher Bandbreite. Mehrere robuste und effiziente Algorithmen und Software-Tasks müssen parallel ausgeführt werden, wobei die Ausführungszeit, die Latenz­zeit und das Fehlermanagement Sicherheitsbeschränkungen unterliegen.

Datenmanagement und Algorithmenvalidierung: Daten sind der virtuelle Treibstoff für autonome Fahrzeuge. Um Perzeptions- und Deep-Learning-Algorithmen zu trainieren, zu testen und zu validieren, müssen umfangreiche Sensordatensätze unter verschiedenen Fahrbedingungen gesammelt werden. Wichtig für die Entwicklung und Validierung robuster und sicherer Systeme sind zum einen Werkzeuge für Datenannotation, Labeling und Management, um die Daten auswählen und nachbearbeiten zu können. Zum anderen sind Simulationswerkzeuge von entscheidender Bedeutung.
Seit der Übernahme durch dSPACE arbeiten unsere Software-Entwickler und Experten noch enger zusammen, um zuverlässige und effiziente Lösungen auf den Markt zu bringen. Wir denken definitiv über die nächsten Schritte nach. Wir wollen eine einzigartige Software-Werkzeugkette vom Prototyp bis zur Produktion liefern, die alle Phasen des Entwicklungsprozesses für autonomes Fahren abdeckt, und wir haben da unglaublich viele Ideen.

Eine Erfolgsgeschichte: Navya Shuttles

Eine Erfolgsgeschichte: Navya Shuttles

Um komplexe Funktionen für das autonome Fahren zu entwickeln, setzt NAVYA, einer der führenden Anbieter von autonomen Shuttles, auf die Multisensorentwicklungsumgebung RTMaps. „Wir haben das Unternehmen seit der Gründung begleitet. Das Navya-Team besteht jetzt schon aus 250 Mitarbeitern, wächst immer noch schnell und betreibt bereits mehr als 150 Fahrzeuge weltweit“, sagt Nicolas du Lac. RTMaps ist für viele Entwickler ein Werkzeug, das sie täglich nutzen. „Wir sind stolz darauf, dass wir unseren Beitrag zu dieser Erfolgs­geschichte liefern konnten“, erklärt du Lac.

RTMaps ist das Kernprodukt von Intempora. Was macht die Software so besonders und wer arbeitet damit? Können Sie ein Beispielprojekt vorstellen?

Die Mehrheit unserer Kunden verwendet RTMaps zur Entwicklung von Fahr­algorithmen. Einige setzen RTMaps aber auch in anderen Bereichen ein, darunter autonome Züge, Robotik, Offshore-Windturbinen, intelligente Rückspiegel, mobile Kartierungssysteme, kognitive Anwendungen sowie System- und Videoüberwachung für Regattasegelschiffe. Die hohe Vielseitigkeit und Leistungsfähigkeit unserer Lösung wird von vielen unserer Kunden geschätzt; sie sehen RTMaps als echten Enabler für eine drastische Beschleunigung ihrer Entwicklungsprozesse. Valeo verwendet RTMaps in der Forschung und Entwicklung in verschiedenen Ländern. Wir haben kürzlich eine Technologiepartnerschaft mit dem Unternehmen geschlossen, um den Valeo-Drive4U-Locate-Algorithmus im RTMaps AI Store zu veröffentlichen. Valeo Drive4U Locate ist eine erschwingliche, präzise und robuste Lokalisierungs- und Kartie­rungs­lösung, die von Valeo für automatisiertes Fahren entwickelt wurde. Dieser proprietäre SLAM, ein System zur Positionsbestimmung, ermöglicht eine zentimetergenaue Positionierung in Situationen mit begrenztem oder gar keinem GPS-Signal. Der Algorithmus wurde mit RTMaps entwickelt und in den Straßen von Paris mit einem auto­nomen Fahrzeug der Stufe 4 demonstriert. 

Zu den ergänzenden Lösungen für RTMaps zählen die Software für Daten­annotation, RTag, und die Intempora Validation Suite (IVS). Was ist die Funktionalität dieser beiden Lösungen?

RTag ist eine Annotationssoftware für mobile Geräte. Mit RTag ist es einfach, bordeigene Datenrekorder manuell zu überwachen und Aufzeichnungen während der Fahrt manuell zu annotieren, um relevante Szenarien zu identifizieren. Die Intempora Validation Suite (IVS) ist eine cloud-basierte Software-Toolkette für Training, Test, Benchmarking und Validierung von ADAS- und AD-Software-Funktionen. Dazu gehören auch Perzeptions- und Deep-Learning-Algorithmen, die zum Beispiel mit RTMaps entwickelt wurden. Getestet und validiert wird gegen große Fahrsensordatenaufzeichnungen, die in großen Datenarchitekturen gespeichert sind.

Wie haben die Intempora-Kunden auf die Übernahme reagiert?

Die Reaktionen von unseren Kunden und Partnern auf der ganzen Welt waren sehr positiv. Wir schlagen definitiv ein neues Kapitel in der Geschichte unseres Unternehmens auf. Dabei werden wir liefern, was wir immer geliefert haben: erstklassige Software-Lösungen. Die Zusammenarbeit mit dSPACE ist eingespielt, da wir bereits in viele strategische Gespräche eingebunden sind. Die Übernahme stärkt weiter unsere Fähigkeit, Kundenprojekte optimal zu unterstützen.

Was sind die nächsten Schritte bei der Weiterentwicklung der Technologie?

Wir kooperieren noch enger mit dSPACE, um eine nahtlose und vollständige End-to-End-Werkzeugkette anzubieten. Zudem arbeiten wir an neuen Erweiterungen für IVS, indem wir Werkzeuge von understand.ai, einem weiteren Unternehmen der dSPACE Gruppe, integrieren. Wir bauen weiterhin Technologiepartnerschaften mit Halbleiterunternehmen wie NVIDIA, NXP und Renesas auf, um die Erwartungen unserer Kunden besser erfüllen zu können. 

An wen können sich Kunden bei Interesse an den Intempora-Lösungen wenden?

Am besten wenden sie sich an die jeweilige dSPACE Landesgesellschaft und ihre regionalen dSPACE Kundenbetreuer. dSPACE verfügt über Standorte auf der ganzen Welt und bietet persönlichen und optimierten Support in der Muttersprache an. 

Vielen Dank für das Interview.

 

Über den Interviewten:

Nicolas DuLac

Nicolas DuLac

CEO INTEMPORA

dSPACE MAGAZIN, VERÖFFENTLICHT November 2020

Verwandte Themen

  • Intempora
    Intempora

    Software-Entwicklung beschleunigen und vereinfachen

Treiben Sie Innovationen voran. Immer am Puls der Technologieentwicklung.

Abonnieren Sie unser Expertenwissen. Lernen Sie von erfolgreichen Projektbeispielen. Bleiben Sie auf dem neuesten Stand der Simulation und Validierung. Jetzt dSPACE direct und dSPACE direct aeropace & defense abonnieren.

Formularaufruf freigeben

An dieser Stelle ist ein Eingabeformular von Click Dimensions eingebunden. Dieses ermöglicht es uns Ihr Newsletter-Abonnement zu verarbeiten. Aktuell ist das Formular ausgeblendet aufgrund Ihrer Privatsphäre-Einstellung für unsere Website.

Externes Eingabeformular

Mit dem Aktivieren des Eingabeformulars erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Click Dimensions innerhalb der EU, in den USA, Kanada oder Australien übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzbestimmung.