Wie stellt man sicher, dass das Steuerungssystem eines neuartigen Elektroflugzeugs in allen Flugphasen zuverlässig funktioniert? Bei Diehl Aerospace muss es sich zunächst in der virtuellen Welt bewähren.

Die urbane Luftmobilität per Lufttaxi – auch Urban Air Mobility (UAM) genannt – ermöglicht schnelle und staufreie Transporte in dichtbesiedelten Gebieten. Die dafür in der Entwicklung befindlichen vollelektrischen Fluggeräte mit vertikaler Start- und Landefähigkeit, auch als eVTOL (Electric Vertical Take-off and Landing) bezeichnet, haben vielversprechendes Potenzial: Sie sind öffentlich akzeptiert, benötigen wenig Infrastruktur und bieten hohe Flexibilität für neue Mobilitätsdienstleistungen. Darüber hinaus tragen sie durch ihren emissionsfreien Antrieb zur Erreichung nachhaltiger Mobilitätsziele bei.

Wieviel Reichweite darf es sein?

Aktuell untersuchen zahlreiche Unternehmen verschiedene Ansätze zur Lösung technischer Herausforderungen von eVTOL-Flugzeugen. Dabei spielt das geplante Einsatzspektrum eine entscheidende Rolle. Im Wesentlichen unterscheidet man innerstädtische Flüge mit einer Reichweite von bis zu 50 km und Flugverbindungen zwischen Städten, die Reichweiten von 300 km und mehr erfordern. Heinrich Fischer, Head of Software and Validation+Verification Avionics bei Diehl Aerospace, ist überzeugt: „Die Fähigkeit, wie ein Hubschrauber zu schweben und gleichzeitig mit relativ hoher Reisegeschwindigkeit und Reichweite zu fliegen, macht eVTOL zu einem effektiven schnellen Punkt-zu-Punkt-Transportmittel.“

Transformer transportieren

Eine mögliche technische Lösung für den Antrieb von eVTOL-Flugzeugen sind verstellbare Tiltrotoren, die je nach Rotorwinkel sowohl Senkrechtstarts als auch horizontales Fliegen ermöglichen. Dieser Antrieb ist besonders für Langstreckenflüge geeignet. Eine andere Option sind mehrere herkömmliche, starr montierte Rotoren, wie sie von Quadcoptern bekannt sind. Hierbei kann die Fluggeschwindigkeit und -richtung durch unterschiedliche Drehzahlen der elektrisch betriebenen Rotoren gesteuert werden.

Ohne Software kein sicherer Flug

Die elektronischen Geräte, die für den Betrieb moderner, elektrifizierter Flugzeuge unverzichtbar sind, werden als Avionik bezeichnet. Zu ihnen gehört der Flight-Control-Computer (FCC), in dem Steuerungsstrategien integriert sind, die in Abhängigkeit von den Flugbedingungen, der Flugzeugkonfiguration und dem Pilotenwunsch arbeiten.

Heinrich Fischer erklärt: „Unser Flight-Control-Computer kann eVTOL-Plattformen vollständig steuern und unterstützt den Piloten, um einen sicheren Betrieb in jeder Flugphase zu ermöglichen. Bei Start, Landung und Flug stellt der Flight-Control-Computer das Bindeglied zwischen Pilot und Antrieb sowie weiteren Systemen im Flugzeug dar. Das System ist in der Lage, die Rotoren für die individuellen Flugphasen optimal anzusteuern, ihre Drehzahlen zu regeln und gegebenenfalls Fehler im System zu erkennen.“

Simplifiziertes elektrisches System des eVTOL. Der Flight-Control-Computer (FCC) ermittelt aus den Eingangsdaten die Solldaten, z. B. Motordrehzahlen für die einzelnen Rotoren. Aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen sind im FCC auch Überwachungsalgorithmen implementiert.
Wer hoch fliegt, muss hohe Anforderungen erfüllen

Wer hoch fliegt, muss hohe Anforderungen erfüllen

Sicheres Fliegen ist eine absolute Prämisse bei der Entwicklung der Flight-Control-Computer (FCC) – dies stellt besondere Herausforderungen an die Entwicklung dieser Geräte. Der hochperformante Computer vereint alle sicherheitskritischen Funktionen eines Flugzeugs. Seine Zuverlässigkeit ist maßgeblich entscheidend für die Sicherheit des Fluggeräts und seiner Insassen. Wie in der Luftfahrt erforderlich, ist das System redundant ausgelegt: bestehend aus Primär- und Backup-Steuerungscomputer. 

Für die Überprüfung der korrekten Funktionalität der FCCs bei Diehl Aerospace sind zwei Anforderungen von besonderer Bedeutung:

  • Testen des korrekten Realzeitverhaltens der Flight-Control-Computer (FCC)
  • Testen aller relevanten Eingangs- und Ausgangssignale und der zugehörigen Busprotokolle

„Insbesondere Echtzeittests liefern entscheidende Aussagen, ob eine Funktion wirklich sicher ist und geben im Fehlerfall beispielsweise Rückschlüsse auf mangelnde Timings, Synchronisation von Signalen und Busdaten etc.“, erklärt Fischer.

Für eine effiziente Testdurchführung mit aussagekräftigen Rückschlüssen zur Fehlerbehebung legte man bei Diehl Aerospace besonderen Wert auf:

  • Testautomatisierung (TA)
  • Reproduzierbare Tests mit dokumentierten Ergebnissen
  • Einfache Erstellung der Tests mit verfügbaren Entwicklungstools, z. B. Python Interface
  • Stabile Testumgebung, die über viele Jahre wartbar ist

Genau hinsehen: Sicherheitsvorschriften

Im Bereich der Luftfahrtentwicklung gelten mannigfaltige Standards, Sicherheitsvorschriften und Richtlinien, die Diehl Aerospace bei der Absicherung berücksichtigen muss. Dazu zählen beispielsweise:

  • ARP4754: Systemzertifizierung
  • DO-178: Entwicklung sicherheitskritischer Software
  • DO-254: Entwicklung elektronischer Hardware
  • DO-160: Umgebungsbedingungen und Testverfahren für Luftfahrtausrüstung

Es liegt auf der Hand, dass sich ein Testsystem, an das derart komplexe Anforderungen gestellt werden, nahtlos in bestehende Entwicklungsinfrastrukturen integrieren muss. Auch auf die einfache Erweiterbarkeit legte Diehl Aerospace großen Wert. „Wir suchten eine Lösung, die skalierbar und modular ist, wenn sich unsere Anforderungen ändern”, berichtet Fischer.

Testen im virtuellen Flugzeug

Mit dem Ziel, eine Testlösung für die skizzierten Anforderungen zu finden, evaluierte Diehl Aerospace sorgfältig den Markt der Hardware-in-the-Loop (HIL)-Simulatoren und fand im HIL-Portfolio von dSPACE ein passendes System aus Hardware und Software, das nahtlos in die bereits bei Diehl Aerospace vorhandene Testautomatisierungsumgebung integriert werden konnte.

Der SCALEXIO-HIL-Simulator bildet die Umgebung für den FCC virtuell ab, so dass sich dieser wie in einem Fluggerät verhalten kann, für das er entwickelt wurde. Das Testsystem ist so konfiguriert, dass er mit den vielfältigen Schnittstellen des Flight-Control-Computers (FCC) kommuniziert, um so Signale für Sensoren, Aktuatoren und Steuerung auszutauschen.

Der HIL-Simulator ist sowohl für den Test des Primär- als auch des Backup-Steuerungscomputers ausgelegt. Beim Testbetrieb kann das zu testende Gerät in der Testautomatisierung ausgewählt werden.

Ein identisches Testsystem wurde beim Systemintegrator aufgebaut, um den FCC im Zusammenspiel mit weiteren Komponenten zu prüfen.

Aufbau des Testsystems: Die zentrale Komponente ist der Simulator, an dem der FCC als Prüfling angeschlossen ist. Auf dem Host-PC wird der Simulator mit ConfigurationDesk konfiguriert und die Testautomatisierung wird mit Python-Skripten ausgeführt. Einzelne Tests können mit ControlDesk durchgeführt werden.

Echtzeitfähigkeit entscheidet über Sicherheit

„SCALEXIO ermöglicht es uns, zeitkritische Eingangssignale in Echtzeit zu stimulieren, dabei das Verhalten des FCC mit Hilfe der Ausgangssignale exakt zu überwachen und wenn nötig auch weitere Komponenten durch Simulation in die Testumgebung einzubinden“, berichtet Fischer. Er erklärt das weitere Vorgehen: „Mit dem Simulator können wir auch wichtige Signalverläufe in Echtzeit aufzeichnen und diese grafisch auswerten. Letztlich bilden wir damit den operationellen Betrieb des FCC ab und können seine korrekte Funktion sicherstellen.“

Flugtauglichkeit per Simulation sicherstellen

„Mit dem SCALEXIO-HIL-Simulator können wir unseren FCC gründlich untersuchen und seine sicherheitskritischen Funktionen validieren“, erläutert Fischer. Die präzise Simulation der Regelstrecken erlaubt einen Betrieb, der sich nicht vom Einsatz im Fluggerät unterscheidet. Der Simulator ermöglicht eine flexible Testerstellung und automatisierte Testdurchführung inklusive Erstellung von Testprotokollen. Das Testsystem bewährt sich im Testalltag durch hohe Stabilität, Robustheit und Verfügbarkeit. Diehl Aerospace kann den Simulator individuell konfigurieren und eigenständig erweitern. „Der Simulator von dSPACE erfüllt unsere Anforderungen“, fasst Fischer zusammen. „Mit ihm gelingt es, unseren FCC gemäß den anspruchsvollen Richtlinien der Luftfahrt zu entwickeln und zu testen. Die einfache Erweiterbarkeit gepaart mit den vielfältigen Konfigurationsmöglichkeiten hat uns wirklich beeindruckt.“

Der Flight-Control-Computer (FCC) nutzt die bewährte Dual-Lane-Architektur in Kombination mit der leistungsstarken Dual-Core-Lockstep-Datenverarbeitungstechnologie (Echtzeitdiagnose mit Hilfe eines zusätzlichen Prozessors und eines Komparators), um eine sichere, zuverlässige, leistungsfähige und robuste Plattform für die Flugsteuerung oder andere hochgradig sicherheitskritische Funktionen zu bieten. Die funktionale Sicherheit wird mit automatisierten Tests am Simulator verifiziert.
Weiterflug schon gebucht

Weiterflug schon gebucht

Vor Kurzem wurde der FCC auf einer Luftfahrtmesse präsentiert und hat dabei für positive Resonanz auch bei der europäischen Luftfahrtbehörde gesorgt.

Dies ermuntert Diehl Aerospace zu neuen Entwicklungsaufgaben: Der Einsatz von weiteren Avionik-Geräten mit neuen Sensoren und Aktuatoren für weitere Fluggeräte wird vorbereitet, und neue Software-Versionen werden den Funktionsumfang zukünftiger FCCs bereichern. Diehl Aerospace freut sich darauf, mit dem Simulator von dSPACE auch bei diesen Entwicklungen sichere Erfolge zu erzielen.

Mit freundlicher Genehmigung von Diehl Aerospace

dSPACE MAGAZINE, PUBLISHED MAI 2023

Auf einen Blick

Anwendung

  • Absicherung eines Flight-Control-Computers (FCC) für eVTOL (Electric Vertical Take-off and Landing)-Flugzeuge

Herausforderungen

  • Safety first: Die Sicherheit des Fluggeräts und seiner Insassen gewährleisten
  • Die korrekte Funktionalität der FCCs und seiner sicherheitskritischen Funktionen nachweisen
  • Die Sicherheitsstandards der Luftfahrt einhalten

Lösung

  • Absichern des FCC mit einem per Hardware-in-the-Loop-Simulator virtualisierten Flugzeugs
  • Testen zeitkritischer Signale unter Echtzeitbedingungen
  • Automatisierte, reproduzierbare Tests mit dokumentierten Ergebnissen belegen die funktionale Sicherheit des FCC

Eingesetzte dSPACE Werkzeuge

  • SCALEXIO: Modular erweiterbare Echtzeit-Rechenplattform zur Simulation der Verhaltensmodelle (Regelstrecken) und Bereitstellung von Hardware-Schnittstellen
  • ConfigurationDesk: Konfiguration der Hardware-Schnittstellen sowie Implementierung von Verhaltensmodellen und I/O-Funktionscode auf SCALEXIO
  • ControlDesk: Experiment- und Instrumentier-Software um Simulationen auszuführen und zu analysieren

Erstellt in enger Zusammenarbeit mit:

Heinrich Fischer

Heinrich Fischer

Head of Software and Validation+Verification Avionics, Diehl Aerospace

Über Diehl Aerospace:

Diehl Aerospace ist ein Joint Venture zwischen Diehl Aviation und dem französischen Unternehmen Thales und zählt zu den führenden Luftfahrtzulieferern mit einem breiten Produktportfolio für unterschiedliche Flugzeug-Programme.

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