Um bei der Entwicklung und Absicherung der Antriebsstrangsteuergeräte einen hohen Durchsatz an Testdurchführungen zu erreichen, hat Renault in Rumänien eine neue Testfabrik aufgebaut. Die installierten SCALEXIO- und PHS-Systeme lassen sich flexibel für die Steuergerätetests einsetzen – die Arbeitsabläufe sind dabei für beide Systeme gleich. Das gelingt mit Hilfe einer neu eingeführten Werkzeugkette, die auf einem eigens dafür entwickelten Managementsystem und dSPACE Tools basiert.
Die Vielfalt beim Fahrzeugangebot erhöht die Zahl der Antriebsstrangvarianten: Unterschiedliche Motor- und Getriebemodelle existieren in diversen Kombinationen mit oder ohne Unterstützung durch Elektromotoren. Neben hybridisierten Antrieben entstehen immer mehr batterieelektrische Systeme. Damit wachsen für Automobilhersteller wie Renault die Herausforderungen bei der Entwicklung und insbesondere der Absicherung der Antriebsstrangsteuergeräte, beispielsweise im Hinblick auf ein effizientes Management der Entwicklungs- und Testdaten. Ziel ist es, die Steuergerätevarianten möglichst ausschließlich per Software abzubilden.
Je nach Fahrzeugtyp, Motorgröße, Getriebeart und Antriebsmaschine muss dafür die Steuergeräte-Software an die jeweilige Anwendung adaptiert werden. Für die Entwickler bedeutet das einen erheblichen Testaufwand, denn jede denkbare Kombination muss getestet und abgesichert werden. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an den Absicherungsprozess, da die zunehmende Vernetzung der Steuergeräte im Fahrzeug und neue Fahrzeugfunktionen wie Fahrerassistenzsysteme (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) immer komplexere Tests erfordern.
Effizient entwickeln …
Um die steigenden Anforderungen auch zukünftig zu erfüllen, hat Renault vor einiger Zeit die Optimierung seiner Entwicklungs- und Testprozesse für den Antriebsstrang beschlossen. Denn die hohe Qualität der ausgelieferten Produkte und ihre kurzen Time-to-Market-Zeiten sollen natürlich auch weiterhin sichergestellt sein. Es galt also, für die Absicherung der Steuergeräte eine ausreichende Anzahl an geeigneten Testsystemen zu installieren, um die hochkomplexen Tests komfortabel und effizient durchzuführen.
… mit automatisierten HIL-Tests
Die große Variantenvielfalt erfordert Testsysteme, die einen hohen Durchsatz an Testdurchführungen zulassen. Schnell war klar, dass Renault diesen langfristig nur über eine Umgestaltung seiner Hardware-in-the-Loop (HIL)-Tests und einen hohen Automatisierungsgrad erreichen konnte. Eine Handvoll Testsysteme würde dafür keinesfalls ausreichen, daher wurde der Aufbau einer neuen Testfabrik in Rumänien beschlossen. Die Idee: Aus einem Pool von HIL-Simulatoren lassen sich Testsysteme flexibel für die verschiedensten Testaufgaben zusammenstellen. Je nach Testaufgabe „bucht“ sich der Entwickler einfach die benötigten Test-Ressourcen in der Fabrik. Daraus ergaben sich auch neue Anforderungen an die Simulatoren.
Variantenvielfalt erfordert Prozesse und Strukturen
Jede Steuergerätevariante erfordert eine spezifische Testumgebung. Diese besteht im Wesentlichen aus dem HIL-Simulator, dem parametrierten Streckenmodell, Software-Werkzeugen und anderen unterstützenden Hilfsmitteln. Die bei Renault für die Absicherung des Antriebsstrangs benötigten Umgebungen werden heute größtenteils in der Testfabrik in Rumänien zusammengestellt und dort für den Steuergerätetest eingesetzt. Eine der schwierigsten Aufgaben für die Entwickler ist die termingerechte Vorbereitung der verschiedenen HIL-Simulatoren für die jeweilige Testaufgabe, da jede Variante eine neue Konfiguration erfordert. Hinzu kommt, dass jedes Teammitglied die Testsysteme für seine Testzwecke buchen kann. Für reibungslose Abläufe sind also klare Prozesse und Strukturen erforderlich, die die Arbeitsweise mit den Systemen und die zeitliche Abfolge der durchzuführenden Tests genau festlegen. Weil zudem die Vielzahl an Testumgebungen manuell kaum zu bewältigen ist, bedarf es eines übergeordneten Systems, das die Erstellung der Testumgebungen und alle erforderlichen Arbeitsschritte und -ressourcen verwaltet und eine Automatisierung des Build-Prozesses ermöglicht.
Das Managementsystem HELIUM
HELIUM – so heißt das neue Werkzeug, das Renault speziell für die Antriebsstrangentwicklung entworfen hat. Es ermöglicht die automatisierte Erstellung von Testumgebungen für HIL-basierte Tests und steuert die Testabläufe. Mit ihm kann sich der Entwickler die Umgebung automatisch zusammenstellen und auf das Testsystem aufspielen lassen. Dazu bietet die Software eine intuitive Benutzeroberfläche, über die der automatische Erstellungsprozess per Knopfdruck gestartet werden kann. Dank der damit verbundenen einfachen und komfortablen Workflows reduzieren sich Zeitaufwand und Fehler bei den Tests erheblich.
Testfabrik aus SCALEXIO- und PHS-Systemen
Derzeit besteht die rumänische Testfabrik aus 32 dSPACE HIL-Simulatoren: 13 SCALEXIO-Systeme und 19 PHS-basierte Simulatoren kommen für den Test neuer Antriebsstrangsteuergeräte zum Einsatz. Genau wie anfangs vorgesehen, lassen sich die unterschiedlichen Systeme heute je nach Testanforderung flexibel für die verschiedensten Steuergerätetests einsetzen. Möglich ist das vor allem dank der standardisierten XIL-API-konformen Schnittstellen der dSPACE Werkzeuge, die eine Interaktion zwischen verschiedener Test-Hardware und -Software ermöglichen. Die Benutzeroberfläche ist für SCALEXIO- und PHS-Systeme gleich: Die vollständige Parametrierung wird in HELIUM vorgenommen. Der Workflow und die Komponentenmodelle für die automatisierte Erstellung der Streckenmodelle unterscheiden sich ebenfalls nicht. So lassen sich auf allen Testsystemen die gleichen automatisierten Tests durchführen.
Hoher Durchsatz mit solidem Testsystem
Mit Hilfe des neuen Werkzeugs und einiger Prozessoptimierungen kann Renault die Variantenvielfalt im Bereich Antriebsstrang erfolgreich bewältigen und die hohen Anforderungen an den Absicherungsprozess erfüllen. Über einhundert unterschiedliche Testumgebungen erstellt das Team in Rumänien heute pro Jahr. Bei der Erreichung dieses Ziels spielten die eingesetzten dSPACE Systeme eine wichtige Rolle. Ihre Offenheit und leichte Integrierbarkeit in die Renault-eigene Werkzeugkette erlauben flexible Anpassungen an die projektspezifischen Anforderungen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die dSPACE Werkzeuge trotz hoher Flexibilität so standardisiert sind, dass nicht jede Steuergerätevariante gleich ein neues System erfordert. Insgesamt erwiesen sich die dSPACE Testsysteme über den Optimierungsprozess hinweg durchgängig als solide und verlässlich und schafften so die Basis für den heute hohen Durchsatz bei den Steuergerätetests. Bei der Optimierung und Durchführung der Testprozesse wurde und wird Renault direkt vor Ort durch erfahrene dSPACE Ingenieure unterstützt.
Fazit und Ausblick
Durch den Einsatz der neuen Werkzeugkette ist das Entwicklerteam in der Lage, die Effizienz im Entwicklungsprozess und die Qualität der HIL-Testumgebungen selbst bei Veränderungen im Personal aufrechtzuerhalten. Weitere Optimierungen der Automatisierung und des Absicherungsprozesses sind bereits geplant, unter anderem die schrittweise Einführung eines 24/7-Betriebs. Neue Funktionalitäten der dSPACE Tools werden zudem fortlaufend in die Werkzeugkette einfließen. Ziel ist es, die neue Prozess- und Werkzeugkette in naher Zukunft auf die Kooperation mit Nissan auszuweiten.
Über den Autor:
Jean-Marie Quelin
Spezialist für die Absicherung von Steuergeräten des Antriebsstrangs bei Renault Frankreich