Auch in der Medizintechnik ist Elektromobilität ein spannendes Thema. Erfahren Sie, wie Rekuperation und anspruchsvolle Reglungstechnik Betroffene weiterbringen.

Unterschenkelamputierte tragen in der Regel passive (nicht angetriebene) Prothesen, die zwar Unterstützung bieten, aber nicht in der Lage sind, Hilfskräfte für wichtige Aktivitäten wie Gehen und Steigungen zu erzeugen. Aus diesem Grund haben Amputierte, die passive Prothesen tragen, einen wesentlich höheren metabolischen Energiebedarf als gesunde Menschen. Kraftprothesen werden durch Elektromotoren angetrieben. Sie überwinden die Einschränkungen passiver Geräte, indem sie ein Gefühl von Freiheit vermitteln und die Möglichkeit bieten, längere Strecken mit geringerer Anstrengung zurückzulegen. Diese Geräte sind jedoch durch ihren hohen Stromverbrauch eingeschränkt. Ein Forschungsteam der Cleveland State University und des Louis Stokes Cleveland VA Medical Center hat von der U.S. National Science Foundation Mittel erhalten, um nach einer Lösung zu suchen, die den Einsatzbereich und die Natürlichkeit der mit diesen Geräten möglichen Bewegungen erheblich erweitert. Das Team entwickelte einen Prothesenprototyp, der eine Energierückgewinnungstechnologie mit Superkondensatoren als Energiespeicherelemente enthält. Das Team entwickelte eine angetriebene Knieprothese und ein anspruchsvolles energieoptimales Regelungssystem. Sie hoffen, dass die Prothese nicht nur länger arbeitet, sondern auch einen aktiveren Lebensstil erlaubt, indem sie schnelleres Gehen und schließlich auch das Treppensteigen ermöglicht.

Energierückgewinnung kann der Schlüssel sein

Die größten Hindernisse bei diesen Geräten sind laut Professor Hanz Richter der hohe Strombedarf und die Komplexität der Aktoren, die zur Bewegungsausführung erforderlich sind. Heute unterstützen die meisten elektrisch betriebenen Prothesen nur ein durchschnittliches Gehtempo und müssen unter Umständen mehrmals am Tag aufgeladen werden. Das Forschungsteam entwickelte eine Regelungsmethode, die nahtlose Übergänge zwischen den verschiedenen Gangphasen während des Gehens ermöglicht, einschließlich verschiedener Gehgeschwindigkeiten und einer Reihe unterschiedlicher Steigungen und Gefälle, basierend auf selbstmodulierter Impedanzkontrolle und Technologien zur Energierückgewinnung. Die Technologie zur Energierückgewinnung hat das Potenzial, den Energieverbrauch in Antriebssystemen zu senken. Diese Technologie basiert auf der Rückgewinnung, Speicherung und Wiederverwendung von überschüssiger Energie, die bei Bewegungszyklen entsteht. Regeneratives Bremsen wird in Elektrofahrzeugen häufig eingesetzt, um die Energieeffizienz zu verbessern. Die gleiche Methode kann auch bei einer motorisierten Prothese angewendet werden. Beim natürlichen Gang kommt es zu einem Energieüberschuss im Kniegelenk. Während passive Prothesen wie eine Bremse wirken und diese Energie abbauen, können die von Prof. Richter entwickelten regenerativen Prothesen überschüssige Energie speichern und wiederverwenden, ohne die Natürlichkeit der Bewegung zu beeinträchtigen. So kann die Energierückgewinnung zur Batterieladung beitragen und die Prothese für den täglichen Gebrauch praktischer machen.

Probleme mit herkömmlichen motorbetriebenen Prothesen
Testperson beim Gehen mit dem Prothesenprototyp.

Probleme mit herkömmlichen motorbetriebenen Prothesen

Die meisten elektrisch angetriebenen Prothesen verwenden Impedanzregler, mechanische Federn und Dämpfer, um die Bewegung der Knie- und Sprunggelenke nachzubilden. Die Prothese ist in eine Reihe von Gangzuständen unterteilt, die das Gleichgewicht und die Koordination repräsentieren, die für die Ausführung eines Gehschritts erforderlich sind. Für jeden Gangzustand wird ein eigener Impedanzregler verwendet. Diese Regelungen werden durch Sensoren an der Prothese ausgelöst. Die Regelungsparameter werden für jeden Zustand so eingestellt, dass sie den unterschiedlichen Gehgeschwindigkeiten und Gehmustern der einzelnen Personen entsprechen. Diese Prothesen verfügen üblicherweise über eine Regelung mit fünf Zuständen, die mit drei oder vier verschiedenen Gehgeschwindigkeiten arbeitet, und die Parameter der Regelung erfordern eine mühsame Impedanzplanung. Bei fünf Gehphasen mit je drei Verstärkungen und drei Geschwindigkeiten sind beispielsweise 45 Verstärkungen abzustimmen. Im Gegensatz dazu verwendete das Team ein kontinuierliches Impedanzmodulationsschema, das auf der axialen Schaftkraft basiert und einen deutlich reduzierten Raum für die Regelungsparameter ermöglicht. 

Transfemorale Prothese mit Energieregenerationsantrieb

Das Forschungsteam hat einen Prototyp entwickelt, um seine Ideen zur Energierückgewinnung und zur selbstmodulierten Impedanzsteuerung zu demonstrieren. Der Prototyp besteht aus einem passiven Fußgelenk und einem angetriebenen Kniegelenk. Das Kniegelenk wird durch einen Gleichstrommotor mit einer Leitspindel und einem Kurbelschiebermechanismus angetrieben. Ein Ultrakondensator (auch Superkondensator genannt) wird als Energiespeicher anstelle einer Batterie verwendet und bietet eine effiziente Möglichkeit zur Speicherung und Wiederverwendung von Energie. Der Ultrakondensator ist leicht und langlebig und verfügt im Gegensatz zu Batterien über eine hohe Energiedichte und die Fähigkeit, sich schnell und ohne Schaden zu laden und zu entladen. Ein weiteres Schlüsselelement des Prototyps ist die Regelungsmethode: Das Team entwickelte einen neuartigen Regelungsansatz mit variabler Impedanz, der die Prothese sowohl in der Stand- als auch in der Schwungphase antreibt und dabei explizit die Energierückgewinnung berücksichtigt. Die Regelungsmethode variiert die Impedanz des Kniegelenks in Abhängigkeit von der auf den Schaft ausgeübten Kraft und fördert die Energierückgewinnung, indem sie dem System präzise eine bestimmte Menge an negativer Dämpfung zuführt. „Dieser Ansatz bietet eine natürliche Variation der Impedanz des Knies und führt zu weit weniger Abstimmungsparametern im Vergleich zu anderen Ansätzen“, so Professor Richter. „Außerdem ermöglicht die Regelung das Gehen in verschiedenen Geschwindigkeiten, ohne dass eine Neueinstellung erforderlich ist. Dieselbe Einstellung kann einfach für verschiedene Themen verwendet werden.“

Validierung der Regelungsmethode

Um ihre Regelungsmethode zu validieren, installierte das Team eine Reihe von Sensoren an der Testprothese, um Daten über die Regelungsmethode zu sammeln und ihre Gesamtleistung zu bewerten. Ein freiwilliger Amputierter wurde rekrutiert, und es wurden Tests durchgeführt. Um eine Rückmeldung über die Regelstrategie zu erhalten, wurde die Motorposition, die kinematisch mit dem Kniewinkel zusammenhängt, mit einem Encoder gemessen, um die Geschwindigkeit zu berechnen. Außerdem wurden zwei Dehnungsmessstreifen installiert und anschließend kalibriert, um die Schaftkraft zu messen. Dann wurde die Spannung der Ultrakondensatoren gemessen, um sie als Rückkopplung im Rahmen der vom Team entwickelten semiaktiven virtuellen Regelung zu verwenden. Um die Energierückgewinnungskapazität der Prothese zu bewerten, wurden auf beiden Seiten des Motortreibers Sensoren zur Messung der Eingangs- und Ausgangsströme installiert. Die an den Motor und die Ultrakondensatoren angelegte Spannung wurde aufgezeichnet. Die kombinierten Messungen lieferten Informationen über den Gesamtstromverbrauch und die Effizienz des Motortreibers. Für die zentrale Datenerfassung, Regelung und Anzeige der Prothese und des Regelsystems wurde ein dSPACE System mit einer Rate von 1 kHz eingesetzt. Die Berechnung der Echtzeitregelung wurde in einem Simulink-Blockdiagramm implementiert, wobei ein Teil des Codes von eingebetteten MATLAB®-Blöcken ausgeführt wurde. Bei allen Messungen wurde eine digitale Filterung mit einer Grenzfrequenz von 24 Hz angewendet. Die Kraftprothese des Anwenders war über ein Kabel mit dem dSPACE System verbunden. Laut Prof. Richter haben das dSPACE System und die Simulink-Kompatibilität dem Team sehr geholfen, sich auf die Regelalgorithmen zu konzentrieren und nicht auf die Implementierungsdetails. Insbesondere der Übergang von der Modellierung und Simulation zum Echtzeiteinsatz wurde gestrafft.

Versuche auf einem Laufband
Prototyp einer Knieprothese.

Versuche auf einem Laufband

Nach Abschluss der ersten Validierungstests begann das Team mit einer Reihe von Tests mit einem 35-jährigen männlichen Probanden. Dieser lief mit drei verschiedenen Geschwindigkeiten auf einem Laufband lief: langsam (0,6 m/s), bevorzugt (0,75 m/s) und schnell (0,9 m/s). Durch diesen Versuch wurde die Regelungsmethode validiert und die Energierückgewinnung unter den Testbedingungen erreicht. Ein passives Marker-Bewegungserfassungssystem mit 10 Kameras zeichnete 26 Marker auf, die an definierten anatomischen Stellen platziert waren. Mit den Kraftmessplatten des geteilten Laufbands wurden die Bodenreaktionskräfte für jede Seite gemessen.

Regenerierte Energie versorgt das Kniegelenk

Zusammenfassend stellte das Team fest, dass der Abstimmungsprozess relativ einfach war – die Abstimmung war in wenigen Minuten abgeschlossen, während der Test durchgeführt wurde. Sie beobachteten auch die Energierückgewinnung, die das Kniegelenk bei Bedarf mit Energie versorgt. Das Team erkannte jedoch, dass weitere Verbesserungen bei der Energierückgewinnung möglich sind. Obwohl das Projekt abgeschlossen ist, würde eine zusätzliche Finanzierung es dem Team ermöglichen, sich auf die Stabilität des Reglers zu konzentrieren und die Energieverluste zu verbessern, die beim ersten Prototyp festgestellt wurden. Die bei den Versuchen gesammelten Daten für eine Bewertung am Menschen und die Ergebnisse werden demnächst in einem ausführlichen Artikel in der Zeitschrift Medical Engineering and Physics veröffentlicht.

Überblick über das Beinprothesensystem mit Angabe der Energie- und Informationswege. 

Mit freundlicher Genehmigung der Cleveland State University 

 

Über den Autor:

Professor Hanz Richter

Professor Hanz Richter

Fakultät für Maschinenbau, Cleveland State University

dSPACE MAGAZINE, PUBLISHED NOVEMBER 2021

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