Geschwindigkeit, Sicherheit und Komfort während einer Zugfahrt – das sollte selbstverständlich sein. Dafür sorgt ABB mit seinen leistungsstarken Traktionsumrichtern für den Antrieb des Fahrzeugs und mit Hilfsbetriebeumrichtern für die Bordnetzversorgung im Zug. Um die Regelungssoftware für diese Umrichter effektiv und effizient zu entwickeln und zu testen, setzt ABB auf die generische Echtzeitsimulation mit dSPACE Produkten.

Abbildung 1: Straßenbahn mit ABB Traction Produkten, einschließlich Hilfsbetriebeumrichtern.

Einer der wichtigsten Parameter, der ein modernes Schienenfahrzeug charakterisiert, ist die Zugkraft, die ein Fahrzeug in Bewegung setzt. Eine leistungsfähiger Antriebsstrang erfordert auch andere Teilsysteme wie Hilfsbetriebeumrichter (Abbildung 1), die eine wichtige Rolle für das Funktionieren des Fahrzeugs spielen. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Zugfahrt heute ohne den Komfort von Heizung, Lüftung und Klimaanlage, Beleuchtung oder Steckdosen zum Aufladen tragbarer Geräte stattfindet. Aber nicht nur die Fahrgäste brauchen eine „kühle“ Fahrt, sondern auch die Komponenten des Antriebstranges wie Traktionsumrichter, Traktionstransformatoren und Antriebsmotoren müssen gekühlt werden, um einen zuverlässigen und effizienten Betrieb zu gewährleisten. Außerdem sind Kompressoren für den Betrieb des Bremssystems und des Stromabnehmers unerlässlich.

Abbildung 2: ABB-Traktionsumrichter mit integriertem Hilfsbetriebeumrichter.

Alle diese zusätzlichen Lasten an Bord werden von einem Hilfsbetriebeumrichter versorgt. ABB bietet Hilfsbetriebeumrichter für eine breite Palette von Fahrzeugen an, die entweder in den Traktionsumrichter integriert oder eigenständige Einheiten sind (Abbildung 2).

Der Teufel steckt im Detail 

Hardware-in-the-Loop (HIL)-Tests sind der technische Standard für den Test der Regelungssoftware von Traktions- und Hilfsbetriebeumrichtern. Zu diesem Zweck verwendet ABB die dSPACE Entwicklungslösung. Seit vielen Jahren nutzt ABB dSPACE Produkte – wie z. B. die HIL-Simulation elektrischer Antriebe – zum Testen und Entwickeln von Regelungssoftware für eine optimale Kraftübertragung auf die Räder. Hilfsbetriebeumrichter haben jedoch eine höhere Schaltfrequenz als Traktionssysteme. Dies wiederum erfordert eine hohe Simulationsgenauigkeit und entsprechend hohe Abtastraten in der Simulationsumgebung, wie sie nur auf FPGAs (Field-Programmable Gate Array) basierende Simulationen bieten können. 

​​​​​​​FPGA = Field Programmable Gate Array

FPGA steht für Field-Programmable Gate Array. FPGAs werden in der Digitaltechnik eingesetzt, um Änderungen an der Funktionalität eines integrierten Schaltkreises zu ermöglichen, ohne die Hardware zu ersetzen. Stattdessen wird ein bestimmter integrierter Schaltkreis als eine bestimmte Konfiguration der internen Logikzellen implementiert. Die Hauptvorteile eines FPGAs sind seine Flexibilität und seine hohe Geschwindigkeit bei der Signalverarbeitung. Im Fall von EPSS wird die numerische Lösung der diskreten Systemgleichungen für eine leistungselektronische Schaltung auf dem FPGA berechnet.

Abbildung 3: ABB Traction Simulator mit dSPACE SCALEXIO-Systemen für die kombinierte Simulation von Traktionsumrichtern und Hilfsbetriebeumrichtern.

Fokus auf das Wesentliche 

ABB benötigt eine generische Testumgebung, um die große Vielfalt an Steuergeräten und Bordsystemen in der Entwicklung und Validierung zu berücksichtigen. So können sich die Ingenieure auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, nämlich die Entwicklung und das Testen von Software für Hilfsbetriebeumrichter, und müssen sich nicht mit komplexen mathematischen Modellen oder FPGA-Programmierung befassen. Daher musste die dSPACE Entwicklungslösung komfortabel, einfach zu bedienen und flexibel in der Anpassung der Parameter an unterschiedliche Anforderungen sein. Die Lösung, insbesondere das Electrical Power Systems Simulation Package (EPSS), führt schnelle Echtzeitberechnungen aus einem mit Simscape Electrical™ (Specialized Power Systems) modellierten Schaltplan durch, zum Beispiel unter Verwendung eines FPGAs. Für die Verwendung von EPSS sind außer der Erstellung von Schaltungstopologien keine besonderen Kenntnisse erforderlich. Es muss weder eine FPGA-Programmiersoftware vorhanden sein, noch muss der verantwortliche Ingenieur eine zeitaufwendige Synthese des FPGA-Builds selbst durchführen. Mit dem in EPSS enthaltenen FPGA-basierten Ansatz sind je nach Anwendung schnelle Berechnungen mit Schrittweiten ab wenigen hundert Nanosekunden möglich, weshalb sich ABB für dieses Paket entschieden hat. EPSS ermöglicht es somit, die mit Simscape Electrical™ modellierte Schaltskizze direkt auf den FPGA zu übertragen und ohne weiteren Implementierungsaufwand des Anwenders in Echtzeit auszuführen. Das reduziert Zeit und Kosten und schont Ressourcen. 

dSPACE Entwicklungslösung

ABB verwendet SCALEXIO-Hardware zusammen mit der Experimentier- und Instrumentierungssoftware ControlDesk und der Implementierungssoftware ConfigurationDesk. Das dSPACE Electrical Power Systems Simulation Package (EPSS), das auf einer SCALEXIO-Einheit mit eigenem Prozessor, FPGA und Multi-I/O-Boards läuft (Abbildung 3), hilft bei der Simulation der Hilfsbetriebe mit FPGAs. Für die Simulation von Bordnetzumrichtern ist die Auflösung in Schrittweiten von ca. 25 μs, die üblicherweise für die Simulation des Traktionssystems verwendet wird, nicht ausreichend. Dies liegt daran, dass die Leistungshalbleiter in den Hilfsbetriebeumrichtern höhere Schaltfrequenzen (über 2 kHz) haben und die zugehörigen leistungselektronischen Schaltungskomponenten (Induktivitäten, Kondensatoren, Widerstände, Schalter) kleinere Zeitkonstanten aufweisen als im Traktionssystem. Die mathematische Beschreibung solcher Systeme erfordert tiefergehendes Fachwissen, um eine genaue Echtzeitsimulation zu erreichen. 

Daher war ein Ansatz erforderlich, der die folgenden Punkte abdeckt: 

  • Physikalisch korrekte Modellierung des Stromrichters durch einen Schaltplan 
  • Automatische Generierung der mathematischen Beschreibung (Differentialgleichungen) und Diskretisierung 
  • Simulationsschrittweite unter 5 μs 
  • Genaue Berücksichtigung der pulsweitenmodulierten (PWM) Schaltsignale 
  • Änderung der Parametrierung, insbesondere der Lasten, während der Laufzeit 
  • Präzises Aufzeichnen von Messdaten 

All diese Punkte sollen ein zeitsparendes und reproduzierbares Testen von Stromrichtern ermöglichen. 

Vorabanalyse der Modelle  

Da es Hilfsbetriebe in unterschiedlichen Konfigurationen und Anzahlen gibt (zum Beispiel mit oder ohne DC/DC-Wandler, oder mit mehreren parallellaufenden Hilfsbetrieben), stellt sich die Frage, ob die komplexen Modelle überhaupt auf einem einzigen FPGA verarbeitet werden können, oder ob sie aufgeteilt werden müssen. Wenn eine Aufteilung erforderlich ist, muss der Punkt, an dem die Aufteilung vorgenommen werden kann, so bestimmt werden, dass die Simulation stabil und genau genug bleibt. Die daraus resultierenden Einheiten, die auf mehreren FPGAs laufen, müssen zudem in der Lage sein, über eine Inter-FPGA-Verbindung problemlos miteinander zu kommunizieren (Abbildung 5). EPSS bietet umfangreiche, benutzerfreundliche Werkzeuge, um die Notwendigkeit von mehreren FPGA-Boards und deren Konfiguration zu ermitteln. So kann zum Beispiel eine grafische Benutzeroberfläche anzeigen, ob eine Schaltung auf einem FPGA implementiert werden kann und welche Komponenten oder Einstellungen zur Notwendigkeit eines weiteren FPGA-Boards führen. Wenn eine Modellaufteilung unvermeidbar ist, können einfach zu verwendende Model Splitting-Blöcke in das Simulationsmodell eingefügt werden. Es stehen verschiedene Trennverfahren zur Verfügung. In einer weiteren grafischen Oberfläche kann der Nutzer analysieren, welche Trennstellen und Trennverfahren zu einer weiterhin stabilen Simulation führen und welche Trennstellen für das vorliegende Modell am besten geeignet sind. Die Verbindung mehrerer FPGA-Boards kann komfortabel über ConfigurationDesk und eine integrierte EPSS-spezifische Inter-FPGA-Schnittstelle konfiguriert werden. 

Abbildung 4: Beispiel für den Aufbau der dSPACE Hardware und Software bei ABB.
Abbildung 5: Topologie des Hilfsbetriebeumrichters, der mit EPSS FPGA in Echtzeit simuliert wird. Die Simulation ist auf zwei FPGAs aufgeteilt, die miteinander kommunizieren, um einen korrekten Signalaustausch zu gewährleisten.
Abbildung 6: Erfassen von Signalen mit dem FPGA-Scope aus EPSS FPGA. Es wird ein Lastschritt (zum Zeitpunkt 0) von 10 % auf 100 % gezeigt. Die Last wird während der Laufzeit mit Hilfe des EPSS-Features „Scenarios“ geändert.

Detaillierter Vergleich der Ergebnisse 

Die Grafik zeigt die Ergebnisse eines Open-Loop-Experiments, bei dem der Hilfsbetriebe-Zwischenkreis auf 750 V fixiert ist und der Hilfsbetriebeumrichter mit einer PWM-Schaltfrequenz von 4 kHz und einem Modulationsindex von m=0,9 gepulst wird (Abbildung 7). Die Echtzeitsimulation mit EPSS FPGA, die mit einer Schrittweite von 4 μs läuft, wird mit einer Offline-Referenzsimulation mit Simscape Electrical™ (Specialized Power Systems) mit einer Schrittweite von 0.1 μs und mit echten Labormessungen verglichen. Die Echtzeitsimulation EPSS FPGA ist sehr genau – sie ist fast identisch mit einer viel rechenintensiveren Offline-Simulation und kommt den Laborergebnissen sehr nahe. Der Unterschied zwischen der Simulation und den Labordaten ergibt sich aus der idealen Beschaffenheit der simulierten elektrischen Komponenten, d. h. lineare Rs, Ls, Cs usw. Diese Elemente sind in der Realität nichtlinear, und Effekte wie die Temperaturabhängigkeit des Widerstands und die nichtlineare L-Strom-Charakteristik werden in der Simulation vernachlässigt. 

Abbildung 7: Vergleich der Echtzeitsimulation mit EPSS FPGA (rot), der Offline-Simulation mit Simscape Electrical™ Specialized Power Systems (blau) und der Labormessungen am realen Aufbau (gelb).

Bis ins kleinste Detail – Visualisierung der Ergebnisse 

Während der Echtzeitsimulation werden die resultierenden Signale normalerweise auf dem Prozessor überwacht, zum Beispiel mit der dSPACE Software ControlDesk. Da die Simulation von Hilfsbetrieben auf einem FPGA jedoch mit einer Präzision durchgeführt wird, die auf dem Prozessor nicht dargestellt werden kann, zeigt der Prozessor gemittelte Ergebnisse an. Der mit EPSS gelieferte FPGA-Scope ermöglicht es jedoch, die Simulationsergebnisse in einem bestimmten Zeitrahmen genau zu erfassen und mit einer ControlDesk-Erweiterung komfortabel darzustellen. So können Ströme und Spannungen der leistungselektronischen Komponenten oder die PWM-Schaltsignale genau beobachtet werden. Abbildung 6 zeigt beispielsweise, wie man den FPGA-Scope verwenden kann, um den Trigger so einzustellen, dass er die relevanten Signale bei einer Änderung der Last von 10 % auf 100 % erfasst. 

Keine Bürde mit den Lasten 

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die Lastparameter während der Laufzeit geändert werden müssen. Dies ist bei topologiebasierten Simulationen nicht trivial, da veränderte Parameter die diskretisierten Differentialgleichungen verändern. EPSS bietet eine grafische Benutzeroberfläche für die Definition von Szenarien, d. h. von Parametersätzen für die in den Schaltkreisen enthaltenen Komponenten. In ControlDesk kann während der Laufzeit mit wenigen Klicks zwischen diesen Szenarien umgeschaltet werden, und die Auswirkungen von Laständerungen können auf diese Weise leicht getestet werden. 

Die Lasten des Hilfsbetriebeumrichters des Fahrzeugs werden in Echtzeit simuliert.

Der Beweis – Die Laborwerte 

Letztendlich lautet die Frage bei jeder Form der Simulation: Wie nahe kommt die Simulation den realen Werten? Daher hat ABB parallel zur Entwicklung der Testumgebung entsprechende Messungen im Labor durchgeführt, die bestätigen, dass die Simulation sehr genau ist (Abbildung 7). 

Zusammenfassung und Ausblick 

dSPACE „an Bord“ zu haben bedeutet, gleichzeitig Geschwindigkeit, Sicherheit und Komfort für den öffentlichen Verkehr zu gewährleisten. Mit der dSPACE Entwicklungslösung führt ABB Traction realitätsnahe Echtzeit-HIL-Simulationen für komplette Antriebssysteme durch, die nun auch auf Hilfsbetriebeumrichter ausgeweitet wurden. Ermutigt durch die hervorragenden Ergebnisse, die mit EPSS für die Hilfsbetriebesimulation erzielt wurden, wird ABB Traction den HIL-Simulator weiterentwickeln, um noch komplexere Aufbauten in den Simulationsumfang aufzunehmen. 

dSPACE MAGAZINE, PUBLISHED MARCH 2023

Dr. Roxana Ionutiu

Über die Autorin:

Dr. Roxana Ionutiu ist Principal Engineer für Echtzeitsimulation bei der ABB Division Traction in Turgi, Schweiz. 

Zusätzlicher Dank geht an die ABB-Kollegen Thomas Steiner, Dr. Sergio Fraga, Benjamin Grichting, Dr. Gina Steinke und Thomas Maier für ihren Beitrag zu mehreren Entwicklungsphasen für die Echtzeitsimulation der Hilfsbetriebe und David Brügger für die Durchführung von Messungen am realen System im Labor.

Dr. Roxana Ionutiu

Über ABB:

ABB ist ein führendes Technologieunternehmen in den Bereichen Elektrifizierung und Automation, das eine nachhaltigere und ressourceneffizientere Zukunft ermöglicht. Die Lösungen des Unternehmens verbinden technische Expertise mit Software, um die Art und Weise, wie etwas hergestellt, bewegt, angetrieben und betrieben wird, zu verbessern. Seit vielen Jahren engagiert sich ABB auch in der Entwicklung von führenden Werkzeugen für die Echtzeitsimulation zum Testen seiner Produkte. Das dSPACE Echtzeitsystem der ABB Traction Division bietet eine Umgebung für den effizienten und kostengünstigen Test von Regelungssoftware leistungsfähiger Leistungselektroniksysteme für Schienenfahrzeuge und schwere Elektrofahrzeuge wie Oberleitungsbusse, Busse und Lastwagen. 

Treiben Sie Innovationen voran. Immer am Puls der Technologieentwicklung.

Abonnieren Sie unser Expertenwissen. Lernen Sie von erfolgreichen Projektbeispielen. Bleiben Sie auf dem neuesten Stand der Simulation und Validierung. Jetzt dSPACE direct und dSPACE direct aeropace & defense abonnieren.

Formularaufruf freigeben

An dieser Stelle ist ein Eingabeformular von Click Dimensions eingebunden. Dieses ermöglicht es uns Ihr Newsletter-Abonnement zu verarbeiten. Aktuell ist das Formular ausgeblendet aufgrund Ihrer Privatsphäre-Einstellung für unsere Website.

Externes Eingabeformular

Mit dem Aktivieren des Eingabeformulars erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Click Dimensions innerhalb der EU, in den USA, Kanada oder Australien übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzbestimmung.